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<nettime> Longish Thread on Randy Thornhill (In German with nettime in the cc:) |
---------- Forwarded message ---------- Date: Tue, 17 Oct 2000 11:32:47 +0200 From: Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at> To: register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: Elisabeth List zu Randy Thornhill Liebe Listenmitglieder, Prof. Elisabeth List (Universit”t Graz) hat mich gebeten, das folgende Statement im Netz zu verbreiten. Ich komme ihrer Bitte gerne nach. Stefan Weber +++++++ Betreff: Protest gegen Randy-Thornhill-Vortrag auf der "ars electronica" Mich erschreckt, mit welcher Gl”ubigkeit hierzulande alles f¸r bare M¸nze genommen wird, was aus den USA kommt. Das gilt besonders f¸r die Soziobiologie. Was an Texten von E. Wilson, seinem Sch¸ler D. Barash, oder R. Dawkins zu uns kommt, ist nicht Wissenschaft, sondern Popul”rwissenschaft , "Pop-sociobiology", und hat mit den Beitr”gen, die man in den wissenschaftlichen Journals der biologischen "Normalwissenschaft" lesen kann, ¸berhaupt nichts zu tun. Es ist zu 50 % politische Propaganda, die versucht, sich die Autorit”t der Biologie als Wissenschaft zunutze zu machen. Dazu braucht man kein Fachmann, keine Fachfrau zu sein. Diesen Vorwurf w¸rde Thornhill zur¸ckweisen, und er beruft sich gegen Kritiker, die ihm vorwerfen, er h”tte selbst keine empirischen Befunde erhoben, auf sein umfangreiches Literaturverzeichnis, auf seine Sekund”rquellen und "wissenschaftliche Autorit”ten". Liest man die B¸cher von Konrad Lorenz, wird man merken, daþ sich die kontinentale Tradition der Vergleichenden Verhaltensforschung vom Stil der Soziobiologie deutlich unterscheidet. Konrad Lorenz, der ¸ber die Naturgeschichte der Aggression schreibt, spricht ausdr¸cklich von Aggression, und nicht von Gewalt. Er scheint zur Kenntnis zu nehmen, daþ es ein Miþbrauch der Sprache ist, Aggression schlicht mit Gewalt gleichzusetzen. (Obwohl der Titel des Buchs Das sogenannte B–se es mit der Trennung des Deskriptiven vom Normativen nicht so ernst meint). Denkt man nur einen Augenblick dar¸ber nach, was "Gewalt" eigentlich bedeutet, n”mlich Handlungen, die den K–rper, den Existenzbereich einer anderen Person verletzen, um diese Person zu annihilieren, zu dem¸tigen, und studiert man historische Beispiel von Gewalt, von den Blutopfern der Azteken bis zu den Folterungen, von denen Amnesty International berichtet, und insbesondere die Vergewaltigung von Frauen in B¸rgerkriegen - von Indien in der Zeit der Unabh”ngigkeitskriege bis nach Bosnien 1992 -, dann wird man erkennen, daþ Gewalt immer kulturell konstruiert, ritualisiert, und nicht ein nat¸rliches Ph”nomen ist. Die Naturalisierung von Gewalt hat in der Philosophie und den Wissenschaften eine lange Tradition, von Hobbes bis zu Darwin und seinen Enkelsch¸lern - das ist die Wissenschaftstradition einer patriarchalen Kultur, mit der wir endlich aufr”umen m¸ssen. Eine Kritik an Thornhill darf es sich nicht zu leicht machen. Wie er beteuert, h”lt er Vergewaltigung selbst f¸r ein Unrecht, gegen das man k”mpfen sollte. Aber als Wissenschaftler meint er, diese seine Ðberzeugung zur¸ckzustellen gegen¸ber dem Anspruch seiner Wissenschaft, der Soziobiologie, die beansprucht, die einzig "wissenschaftlich legitime" Theorie menschlichen Verhaltens zu sein, und die eben behauptet, daþ jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger ist. Mehrere Punkte sind da zu beachten. Erstens folgt Thornhill dem Trend der Soziobiologie, f¸r sich allein den Status der Wissenschaftlichkeit in Anspruch zu nehmen und die Sozialwissenschaften insgesamt zur bloþen Ideologie zu erkl”ren. Daþ es so etwas wie Geschichtswissenschaften und vergleichende Anthropologie gibt, die die behauptete Universalit”t von Ph”nomenen wie Vergewaltigung oder auch Krieg empirisch, und das heiþt wohl, wissenschaftlich widerlegen, nimmt er einfach nicht zur Kenntnis. Hinter dem Text von Thornhill verbirgt sich also ein Machtkampf innerhalb des Felds der Wissenschaften, in dem derzeit die naturalistischen Positionen, insbesondere das Lager der Neodarwinisten, das Sagen haben. Die Dominanz eines wissenschaftlichen Paradigmas kann erhebliche Folgen f¸r die Sprachverh”ltnisse haben. Es ist verbunden mit einer Politik der Benennungen, die andere Sprach- und Sichtweisen tendenziell verdr”ngen. Im konkreten Fall von Vergewaltigung und von Gewalt allgemein bedeutet das, daþ die allt”gliche, die –ffentliche, moralische und politische Rede ¸ber Gewalt f¸r irrelevant und gehaltlos erkl”rt wird. Dem muþ man ein gesch”rftes Instrumentarium der Wissenschaftskritik als Sprachkritik entgegenhalten. Man muþ klarmachen, daþ sich alle Spezialprachen, auch die der Wissenschaften, aus dem Mutterboden der kulturell geteilten Alltagssprache entwickeln. Ganz im Sinn von Ludwig Wittgenstein wird man erst fragen, was Ausdr¸cke von Gewalt und Vergewaltigung in ihrer realen Verwendung im allt”glichen Leben bedeuten. Wie schon eingangs angedeutet, bedeutet Gewalt - im Franz–sischen bedeutet die etymologische Wurzel von "violence"," viol" Vergewaltigung - im normalen Sprachgebrauch das Eindringen in die und das Verletzen der Sph”re eines anderen, und damit immer die Verletzung eines Rechts, das gem”þ dem Brauch, den Konventionen und den Gesetzen allen Mitgliedern der Gesellschaft, oder der menschlichen Gemeinschaft zusteht. Mit anderen Worten, das Wort Gewalt hat, so wie es in den Sprachen zumindest der meisten Kulturen verwendet wird. einen essentiell normativen Gehalt. Gem”þ Thronhills eigenem Verst”ndnis von Wissenschaft ist es demnach f¸r die Soziobiologie als Wissenschaft ganz und gar illegitim, diesen Ausdruck ¸berhaupt zu verwenden. Die Wissenschaftlergemeinschaft hat nicht das Recht, den Sprachgebrauch des Alltags, oder die Spezialsprachen anderer wissenschaftlicher Disziplinen nach Belieben umzudeuten. Es ist der Machtanspruch dieser Wissenschaftsdisziplin, der dazu f¸hrt, daþ sie sich unbefugt die Territorien anderer Wissenschaftsbereiche einverleibt, und sie tut es mit unstatthaften Mitteln. Sie tut es mit den Mitteln einer Sprache, die sie f¸r ihre "Politik der Benennung" instrumentalisiert. Deshalb muþ Wissenschaftskritik in erster Linie immer Sprachkritik sein. Um Alice in Wonderland zu zitieren, wo die Sache auf den Punkt gebracht wird: "If I use a word", said Humpty-Dumpty, "it just means what I want". "The question." said Alice, "whether you can make a word mean what you want." Humpty-Dumpty answered in a rather scournfull tone: "The question is, who is master" Die Frage ist also, wer das Sagen hat. Die Weisheit von Alice sollte uns helfen, denen zu widersprechen, die versuchen, im Namen der Autorit”t von Wissenschaft eine chauvinistische Politik salonf”hig zu machen. Elisabeth List <<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>> Mag. Dr. Stefan Weber Schopperstrasse 10 A-5020 Salzburg T +43.662.45 10 10 Media Theorist <<<>>> Scientific Writer Current Project: CyberPoiesis (FWF) Project: http://www.cyberpoiesis.net/ Personal: http://www.sbg.ac.at/autojour <<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>> ---------- Forwarded message ---------- Date: Wed, 18 Oct 2000 09:41:31 +0200 From: Hans-Joachim Niemann <Hans-Joachim.Niemann@t-online.de> To: Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, "philweb@philo.at" <philweb@philo.at> Cc: register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: Re: Elisabeth List zu Randy Thornhill >Prof. Elisabeth List (Universit”t Graz) schrieb: >Die Dominanz eines wissenschaftlichen Paradigmas kann erhebliche Folgen >f¸r die Sprachverh”ltnisse haben. Daran ist nichts verwerflich. Wir sprechen heute vom Blitzableiter als Stromableiter, nicht vom 'Gotteszornableiter'; Wissenschaft ist ¸berall in die Alltagssprache eingedrungen, und das ist gut so, solange nicht politisch motivierte Wissenschaftler uns irgendeine Ideologie untermogeln. > Es ist verbunden mit einer Politik der Benennungen, die andere Sprach- > und Sichtweisen tendenziell verdr”ngen. > Im konkreten Fall von Vergewaltigung und von Gewalt allgemein bedeutet das, > daþ die allt”gliche, die –ffentliche, moralische und politische Rede ¸ber > Gewalt f¸r irrelevant und gehaltlos erkl”rt wird. Verharmlosung von Vergewaltigung ist nicht eine Folge von Wissenschaft, sondern wie sie selber sagen, von 'Politik'. Die Wissenschaft kann uns nicht sagen, was wir tun sollen, h–chstens, was wir nicht tun k–nnen (Max Weber). Aus dem Sein folgt kein Sollen (Hume). Diese Einsicht ist bisher von niemanden widerlegt worden. Sie geh–rt zu dem Besten, was die Philosophie zu bieten hat. Zu beklagen sind nicht die Wissenschaftler als Wissenschaftler, sondern die Leute dort, die ihre Politik wissenschaftlich verbr”men. >Deshalb muþ Wissenschaftskritik in erster Linie immer Sprachkritik sein. >Um Alice in Wonderland zu zitieren, ... Dear Alice, wie soll diese Sprachkritik funktionieren? Einstein hat den Alltagsbegriff von 'Gleichzeitgkeit' total neuinterpretiert. Sollen wir Einstein zur¸ckweisen, weil er den Boden der Muttersprache oder der Alltagssprache verlassen hat? >Wissenschaftlergemeinschaft hat nicht das Recht, den Sprachgebrauch des >Alltags, >oder die Spezialsprachen anderer wissenschaftlicher Disziplinen nach Belieben >umzudeuten. Ist gibt da keine rechtlichen Regelungen, und das ist gut so. Die Macht der politischen Sprache kann nicht durch Sprachkritik gebrochen werden. Nur wer nach den zugrundeliegenden Problemen fragt, wer die Probleme analysiert und in Probleml–sungen denkt, entkommt der Magie der sprachlichen Oberfl”che. Gruss, Hans-Joachim Niemann http://www.kritischer-rationalismus.de The Website the leading critical rationalist: http://www.hansalbert.de ---------- Forwarded message ---------- Date: Wed, 18 Oct 2000 10:20:01 +0100 From: Dr. Ullrich Michael Haase <u.haase@mmu.ac.uk> To: Hans-Joachim Niemann <Hans-Joachim.Niemann@t-online.de>, Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, philweb@philo.at Cc: register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: RE: Elisabeth List zu Randy Thornhill "Aus dem Sein folgt kein Sollen (Hume). Diese Einsicht ist bisher von niemanden widerlegt worden. Sie geh–rt zu dem Besten, was die Philosophie zu bieten hat." Sind Sie sich so sicher, daþ die Philosophie solcher Naivit”t immer mit Freude gefr–nt hat? Es ist nicht einmal schwer zu zeigen, daþ Kant sehr viele Probleme gehabt hat, Sein und Sollen zu trennen. Ganz davon abgesehen, daþ das vielleicht gar nicht so w¸nschenswert ist. (Daþ es hier keinen Kausalschluþ gibt, ist eine ganz andere Sache). Man h”tte selbst Hoffen k–nnen, daþ die Wissenschaft selbst erwachsen genug ist, als sich immer auf ihre kindliche Unschuld zu berufen. Auf jeden Fall stellt sich die Frage, mit welcher Leichtigkeit man sich der Philosophie versichert und ihr Angebot in den eigenen Anspruch stellt. Mit freundlichen Gr¸þen, Ullrich Haase =========================================== Dr. Ullrich Haase Senior Lecturer in Philosophy The Manchester Metropolitan University Dept. of Politics and Philosophy Manton Bld. Rosamund Street West Manchester M15 6LL Email: u.haase@mmu.ac.uk Web: www.mmu.ac.uk/h-ss/pap/philos ---------- Forwarded message ---------- Date: Wed, 18 Oct 2000 11:39:41 +0200 From: Karsten Weber <kweber@euv-frankfurt-o.de> To: register@philo.at Cc: Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, "philweb@philo.at" <philweb@philo.at>, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: Public Netbase, Elisabeth List Gestern wurden zwei Brandbriefe im Internet und unter anderem auch ¸ber Register verbreitet. Beide k–nnen nicht unkommentiert gelassen werden. Ich bef¸rchte, dass in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskussion das Augenmaþ verloren gegangen ist. Im Aufruf von Public Netbase bspw. stehen S”tze wie >Of course it remains to be seen how much of an impression this effort will >make on the protagonists of authoritarian neoliberal politics in Austria. und >Austria has become the first country in Europe with elements of the >extreme right in the >national government, and it proves to be a model of how neoliberal and fascist ideologies perfectly >blend into a "sleep of reason that begets monsters". Zum einen scheint es mir widerspr¸chlich zu sein, von "authoritarian neoliberal" zu sprechen. Aber es ist ein Unding, in einem Satz von "neoliberal and fascist ideologies" zu sprechen. Man muss Neoliberale ja nicht m–gen, aber sie implizit mit Faschisten gleichzusetzen, ist einfach falsch. Es ist ein Unterschied, ob Faschisten einen Menschen zu Tode pr¸geln oder Neoliberale f¸r eine v–llige Deregulierung eines bestimmten Marktsegements pl”dieren. Wer diesen Unterschied nicht erkennen kann, verharmlost im besten Falle indirekt faschistische Gewalt. Wer diesen Unterschied nicht erkennen kann, weiþ eben nicht, dass Neoliberale in aller Regel Rechtsstaatlichkeit als hohes Gut erachten und Faschisten gerade dies eben nicht tun. Hier wurden essentielle Unterschiede einfach versch¸ttet. Sicherlich ist es problematisch, in der selben Mail auf die Protestnote von Elisabeth List einzugehen, da dort nicht vom Faschismus die Rede ist. Trotzdem zeigt auch ihre Stellungnahme zu Randy Thornhills Vortrag den Verlust des Augenmaþes. Man muss den Vortrag nicht einmal ber¸cksichtigen, um den Protest von Frau List -- zumindest in dieser Form -- zur¸ckzuweisen. Sie greift Thornhill auf Ebenen an, die eben nicht in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung geh–ren. So f”ngt der Protest damit an, auf das Herkunftsland des Autors abzuheben. Sicher, nicht alles, was aus den USA kommt, ist gut. Umgekehrt kann man aber nicht einfach das Gegenteil implizieren. Es ist der Auseinandersetzung mit der Soziobiologie auch nicht f–rderlich, diese als "Popul”rwissenschaft" oder "pop-science" abzutun. Dies ist in der alten Welt eine der ¸belsten Anw¸rfe an Wissenschaftler, aber kein Argument. Insbesondere aber maþt sich Frau List hier ein Urteil ¸ber Wissenschaftlichkeit und Unwissenschaftlichkeit an, das sie anderen in ihrer Protestnote selbst abspricht. Sie erhebt damit einen "Machtanspruch" f¸r ihre Sicht auf Wissenschaft, wie sie ihn f¸r die Soziobiologie gerade ablehnt. Warum greift Elisabeth List die Soziobiologie nicht mit wissenschaftlich anerkannten Argumenten an? So kann man der Soziobiologie bspw. einen recht kruden Reduktionismus vorwerfen, dessen Richtigkeit von Soziobiologen immer nur behauptet wurde, aber nie aufgezeigt werden konnte. Man k–nnte auf die gef¸hrte sozialwissenschaftliche Debatte hinweisen, dass es eine bisher nicht ¸berbr¸ckte L¸cke zwischen biologisch determinierten Verhaltensmustern und sozial geformten Normen und Werten gibt. Eine Ebene "h–her" liegt die Diskussion um das Mikro-Makro-Problem, wie aus individuellen Pr”ferenzen soziale Normen und Werte entstehen sollen. Man k–nnte sogar darauf abheben, dass soziobiologische Theorien gegen jede Kritik immunisiert sind, da sie empirisch wohl kaum ¸berpr¸fbar und einem Falsifizierungsversuch zug”nglich sind. Es g”be also gen¸gend M–glichkeiten, auf Argumente zur¸ckzugreifen, die in der scientific community durchaus akzeptiert werden. Stattdessen wird auf eher problematische sprachliche Argumente zur¸ckgegriffen. Induktive Schl¸sse von einer Sprache auf "die meisten" anderen, ¸berhaupt ethymologische Ableitungen behaupten auch nur G¸ltigkeit, sind aber nicht empirisch beweisbar. Insbesondere ist der Schluss, dass in vielen Kulturen mit "Gewalt" eine normative Bedeutung verbunden wird, doch kein Argument dagegen, dass die Handlungen, die mit "Gewalt" bezeichnet werden, biologischen Ursprungs sind. Vom Sollen auf das Sein zu schlieþen ist genauso falsch wie vom Sein auf das Sollen zu schlieþen. Grunds”tzlich ist festzustellen: Geistes- und Sozialwissenschaftler sollten keine Maulk–rbe verh”ngen, es auch nicht versuchen. Das kann leicht nach hinten losgehen. Mit Brandbriefen wie den Genannten muss man sich argumentativ auseinandersetzen. Es w”re gerade im Falle von Elisabeth List gut gewesen, wenn sie selbst ihre Protestnote versandt h”tte. So aber muss man mit ihr indirekt kommunizieren. Ich halte dies f¸r einen schlechten Stil. Das Verbreiten einer Protestnote, wie es hier geschehen ist, entspricht -- meines Erachtens -- ein wenig einem Beitrag zur BILD-Zeitung. Das ist eine Schrotschussmethode, die dem Thema einfach nicht angemessen ist. Wissenschaftler m¸ssen sich aber auch an ihren Methoden messen lassen. Karsten Weber -- Dr. phil. Karsten Weber Raum 280, Tel. +49 335 5534 247 Anschrift: Europa-Universit”t Viadrina Frankfurt (Oder) PSF 1786 15207 Frankfurt (Oder) Germany Postal Address: European University Viadrina Frankfurt (Oder) PO 1786 15207 Frankfurt (Oder) Germany http://www.euv-frankfurt-o.de/~w3pgka http://www.euv-frankfurt-o.de/~kweber ---------- Forwarded message ---------- Date: Wed, 18 Oct 2000 12:43:33 +0200 From: "Schramm, Alfred" <alfred.schramm@kfunigraz.ac.at> To: 'Dr. Ullrich Michael Haase' <u.haase@mmu.ac.uk>, Hans-Joachim Niemann <Hans-Joachim.Niemann@t-online.de>, Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, philweb@philo.at Cc: register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: AW: Elisabeth List zu Randy Thornhill Herr Haase schreibt: >Sind Sie sich so sicher, daþ die Philosophie solcher Naivit”t immer mit >Freude gefr–nt hat? Es ist nicht einmal schwer zu zeigen, daþ Kant sehr >viele Probleme gehabt hat, Sein und Sollen zu trennen. Ganz davon abgesehen, >daþ das vielleicht gar nicht so w¸nschenswert ist. (Daþ es hier keinen >Kausalschluþ gibt, ist eine ganz andere Sache). Welche WERTENDE STELLUNGNAHME 'die Philosophie' (wohl besser: manche Philosophen) bez¸glich eines Sachverhaltes (diesfalls eines logisch-semantischen) einnehmen und ob der betreffende Sachverhalt 'w¸nschenswert' ist oder nicht, vermag am Sachverhalt selbst nichts zu ”ndern. Grob formuliert: Aus ausschliesslich deskriptive S”tze enthaltenden Pr”missen k–nnen mangels geeigneter Konsequenzrelationen keine normativen S”tze (welche also ein nicht-leeres Gebot, Verbot oder eine Erlaubnis ausdr¸cken) abgeleitet werden. Vielleicht kann - f¸r einen Anfang - die Intuition bez¸glich dieses simplen Sachverhaltes gesch”rft werden, wenn man ¸berlegt, dass aus dem Umstand, dass etwas NICHT DER FALL SEIN SOLL ja auch nicht folgen kann, dass es NICHT DER FALL IST. Ich habe bei meinen Studenten die Erfahrung gemacht, dass sie von diesem Beispiel ausgehend leichter Zugang zum Verst”ndnis der Semantik von einerseits deskriptiven und andererseits normativen S”tzen gefunden haben. Nach dem ersten 'Aha' ist ihnen dann zumeist die gegenteilige Auffassung ziemlich naiv vorgekommen. Mit besten Gr¸ssen A. Schramm Univ.Prof. Dr. Alfred Schramm Karl-Franzens-Universit”t Graz Abteilung f¸r Rechtsinformatik Universit”tsstraþe 15/BE A-8010 Graz Tel.: ++43 (0316) 380-3405 Fax.: ++43 (0316) 380-693405 alfred.schramm@kfunigraz.ac.at ---------- Forwarded message ---------- Date: Thu, 19 Oct 2000 13:03:32 +0100 From: list <elisabeth.list@kfunigraz.ac.at> To: Hans-Joachim Niemann <Hans-Joachim.Niemann@t-online.de> Cc: Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, "philweb@philo.at" <philweb@philo.at>, register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: Re: Elisabeth List zu Randy Thornhill Zu Herrn Niemann, Sie haben Recht: Wissenschaftliche Theorien habe immer einen Effekt auf die allt”gliche Sprachverwendung, und das kann auch ein positiver Effekt sein. Man kann sich aber nicht auf dieses allgemeine Argument beschr”nken, sondern die Frage stellen, welche Effekte im konkreten Einzelfall vorliegen. Im Fall der "Verwissenschaftlichung" des Themas Vergewaltigung ist es ein politischer Effekt, und dieser Effekt ergibt sich aus einer Umdeutung des Begriffs Gewalt. Ein Wissenschaftler, der um Pr”zision und Klarheit bem¸ht ist, k–nnte zur Beschreibung des Ph”nomens einen anderen Begriff verwenden, z. B. den der Agression, der weniger Wertkonnotationen hat. Alice als Spachkritik h”tte eine detektivische Funktion: Im Einzelfall kasuistisch nachzuweisen, ob Humpty-Dumpty Recht hat. Also einzelne wissenschaftliche Text aus der Perspektive einer "Hermeneutik des Verdachts" zu lesen, also nicht pauschale politische Verurteilungen auszusprechen. Elisabeth List ---------- Forwarded message ---------- Date: Thu, 19 Oct 2000 13:27:58 +0100 From: list <elisabeth.list@kfunigraz.ac.at> To: Dr. Ullrich Michael Haase <u.haase@mmu.ac.uk> Cc: Hans-Joachim Niemann <Hans-Joachim.Niemann@t-online.de>, Stefan Weber <cyberwriter@utanet.at>, philweb@philo.at, register@philo.at, rewired@rewired.com, COYOTE-L@kein.org, nettime@bbs.thing.net, syndicate@aec.at Subject: Re: Elisabeth List zu Randy Thornhill Lieber Herr Haase, Es ist doch Thornhill selbst, der auf der Trennung von Sein und Sollen beharrt. Auch wenn es de facto nicht m–gloch ist, diese Trennung aufrechtzuerhalten, bin ich so altmodisch, an dieser Trennung im Prozeþ >des Argumentierens festhapten zu wollen. Lange bevor Hume schrieb und die Soziobiologie antrat, gab es soziale Ordnungen, deren Sprachregelungen Ausdr¸cke wie Gewalt mit einem normativen, ethischen Gehalt versehen und in diesr Bedeutung Bestandteil der Alltagskommunikation waren. Der Naturalist oder der Biologe als Naturwissenschaftler ist bem¸ht, aus dem allt”glich praktizierten Sollen ein Sein zu machen. Der Naturwissenschaftler vom Typ Thornhills wird mir widersprechen. Denn im Gegensatz zu mir glaubt er nicht, daþ die Normativit”t sozialer Regeln und Beziehungen ¸berhaupt ein Faktum ist, das man ernst nehmen muþ. F¸r ihn handelt es sich um bloþe Ideologie. So wie er alle Sozialwissenschaft als bloþe Ideologie betrachtet. Hier tobt ein Wissenschaftskrieg, der schlimmer ist als der von Sokal angezettelte.. Elisabeth List # distributed via <nettime>: no commercial use without permission # <nettime> is a moderated mailing list for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: majordomo@bbs.thing.net and "info nettime-l" in the msg body # archive: http://www.nettime.org contact: nettime@bbs.thing.net