Tilman Baumgaertel on Sun, 14 May 2000 22:13:22 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Interview mit Douglas Davis


from "Telepolis": 
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/8116/1.html


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"Ich glaube nicht an Kommunikation!"

Interview mit Douglas Davis

Douglas Davis (www.sfd.com/douglasdavis) gilt heute als einer der ersten
Videokünstler. Doch auch wenn der New Yorker zusammen mit Nam June Paik zu
den ersten Pionieren des damals jungen Genres in den späten 60er und frühen
70er Jahren gehörte, umfasst seine Arbeit einen wesentlichen grösseren
Bereich. Er hat nicht nur eine Reihe von Videobändern gemacht, die heute zu
den Klassikern des Genres gehören, sondern auch Bücher geschrieben,
Installationen, Skulpturen und Performances gemacht, und in den letzten
Jahren auch Arbeiten für das Internet geschaffen. 

Von 1969 bis 1988 war Davis neben seiner Arbeit als Künstler auch
Architektur- und Fotografiekritiker des amerikanischen Magazins "Newsweek";
seine Text zur Gegenwartskunst erschienen unter anderem in "Art Forum". Er
hat mehrere Bücher geschrieben, und sein Standardwerk "Art and the Future"
(1972), das wohl die erste Geschichte der Medienkunst war, erschien 1974
unter dem Titel "Vom Experiment zur Idee - Die Kunst des 20. Jahrhunderts
im Zeichen von Wissenschaft und Technologie" im DuMont-Verlag auch auf
Deutsch. 

Sein "World's First Collaborative Sentence"
(http://math240.lehman.cuny.edu/art/), der 1994 von der Lehman College/CUNY
Art Gallery in Auftrag gegeben wurde und sich heute im Besitz des Whitney
Museum  befindet, war nicht nur eins der ersten Kunstwerke, das für das
WorldWideWeb geschaffen wurde, sondern wahrscheinlich das erste
Netzkunstwerk überhaupt, das von einem Sammler gekauft wurde. Auch seine
Netzarbeiten "MetaBody" (http://www.ps1.org/body/) befindet sich
mittlerweile im Privatbesitz. Obwohl er inzwischen 63 Jahre alt ist, ist er
immer noch als Künstler im Netz aktiv: zur Zeit arbeitet er an einem
kollaborativen Projekt mit dem Titel "Terrible Beauty"
(http://here.is/TERRIBLEBEAUTY). 

Dass Davis sich mit dem neuen Medium Internet so schnell anfreudete, liegt
nicht zuletzt daran, dass sich auch seine eigenen Arbeit mit der
Möglichkeit beschäftigen, die Massenmedien als Kommunikationsmedien zu
benutzen. Seit der Fernsehperformance "Elektronic Hokkadim", die er 1971
beim Washingtoner Fernsehsender W.T.O.P-TV durchführte, hat er in seinen
Arbeiten immer wieder versucht, das Massenmedium Fernsehen zu "entmassen",
indem er sie zu einem Austausch mit dem Publikum nutzte.  

Schon in den 70er Jahren schuf er eine Reihe von
Live-Satelliten-Performances, die den interaktiven Gebrauch des Fernsehens
als Kunstmedium erprobten, In ihnen versuchte er, über das Massenmedium mit
seinem Publikum in einen intimen, privaten Dialog zu treten. Seine
Fernsehperformance "The last nine Minutes", die der Hessische Rundfunk 1977
bei der Eröffnung der documenta ausstrahlte, wurde von einem Publikum auf
der ganzen Welt gesehen. Wie er im folgenden Interview betont, hat das
Internet die Hoffnungen, die er als Künstler in Fernsehen und Radio setzte,
erfüllt. 



?: Sie werden normalerweise als ein Videokünstler bezeichnet, aber bei
viele Ihre Arbeiten geht es eher um Telekommunikation als um die Produktion
von Videobändern. Können Sie diese Tendenz in ihrer Arbeit erklären?

Douglas Davis: Ich war nie ein reiner Videotape-Künstler oder
Videokünstler. Ich hatte eher das Bedürfnis, Bilder, Ideen, Klänge durch
diese Wände der sogenannten Medienkategorien zu bewegen. Ich habe
eigentlich nie etwas in nur einem Medium gemacht. Ich habe vielmehr mit
viel Vergnügen Video oder Webvideo oder Websites mit Zeichnungen,
Fotografie, Drucken, Objekten und Theater kombiniert. Mir geht es darum,
die Medien zu zerstören. Die Massage ist das Medium, das habe ich
wenigstens zu der Tochter von McLuhan gesagt, die in den 70er Jahren mit
mir befreundet war. Sie gab mir recht.

Der andere Mythos über mich ist, dass meine Arbeit der "Kommunikation"
gewidmet ist. Ich glaube nicht an Kommunikation! Ich glaube an das große
Abenteuer, Kommunikation zu *versuchen*, besonders über große Distanzen,
sei es Zeit, Sprache, Raum, Geographie oder Geschlecht. Das ist eine
besondere Herausforderung. Es funktioniert fast nie, ausser in einem kurzen
Augenblick oder zwei.

Sie haben vollkommen recht damit, dass der größte Teil meiner Videoarbeiten
diesem Abenteuer gewidmet ist, und es mir nicht um Videobänder auf einem
Bildschirm in einer Galerie geht. Das macht keinen Spass. Es macht viel
mehr Spass, zur ganzen, entfernten Welt zu sprechen. Das hat meine
Satelliten-Performance "Seven Thoughts" motiviert, die 1976 im Astrodome
aufgeführt wurde.

?: Sie waren in den 60er Jahren Kunstkritiker, bevor sie als die ersten
Performances gemacht haben. Können Sie etwas über die Entwicklung sagen,
die Sie zur Kunst geführt hat?

Davis: Auch so ein Mythos. Das Schreiben und die Kunst sind beides eine
Performance. Ich habe das getan seit ich ein kleiner Junge war. Niemand hat
mir gesagt, dass das eine sich nicht mit dem anderen vereinbare läßt, bis
ich angefangen habe, viel zu schreiben und auszustellen. Dann wurde ich
darüber aufgeklärt, daß ich nicht beides tun und dabei rein bleiben kann.
Naja, für mich ist Unreinheit interessanter.

?: Sie haben gesagt, daß die es bei ihren Performances darum ging, die
Massen zu "entmassen". Können Sie sagen, was damit gemeint war?

Davis: Die "Austrian Tapes" und die "Florence Tapes" waren keine reinen
Videobänder, sondern interaktive Performances. In den ersteren bitte ich
sie darum, mich auf dem Monitor mit den Händen, der Brust, dem Rücken und
so weiter zu berühren, und sich zu fragen, ob man sich wirklich berührt. Im
zweiten bitte ich darum, sich vollkommen auszuziehen, die Füsse gegen meine
Füsse zu pressen, und sich zu fragen: "Wer ist oben, wer ist unten?"

Wenn ich eine Performance in einer Gallerie oder in einem Theater machen,
vesuche ich, daß Publikum, das über Radio oder Video oder das Netz zuhört
oder -sieht, ebenfalls in die Performance einzubeziehen, indem ich ihnen
Fragen stelle oder auf andere Weise Reaktionen auszulösen versuche - in
"Double Entendre", das 1981 das Whitney und das Centre Pompidou miteinander
verband, habe ich das Publikum, das von draussen zugehört hat,
aufgefordert, mich anzurufen und mir eine Rat zu geben, als ich mich
entscheiden mußte, ob ich über den Ozean fliegen sollte, um meine
Liebesaffäre zu retten. In der letzten Aufführung von "Terrible Beauty",
der globalen Erzählung, die sich nun im Netz entwickelt, wird das Publikum
komplett die Kontrolle übernehmen: Ich werde gefesselt, geknebelt und
hilflos sein. Sie werden alle Handlungsfäden selbst zuende bringen. 

Manchmal setzte ich mich neben einen Zuschauer. Als ich im letzten Herbst
meine Internetarbeit "Terrible Beauty" in San Francisco aufgeführt habe,
habe ich das Publikum mit Computergerüchen eingesprüht und bat sie dann,
mich auch zu besprühen. Dann haben wir aneinander geschnüffelt - nur, damit
alle mitmachen und nicht bloss rumsitzten. 

Die meisten meiner Drucke und Zeichnungen und Fotos regen einen dazu an,
sie zu bewegen oder zu berühren. Wenn man so etwas tust und nicht bloss
rumsitzt, dann ent-masst man den Kontakt zwischen uns. Sie verstehen, dass
Sie der Hauptakteur sind, nicht ich. Es ist Ihre Wahrnehmung, die die
Arbeit zu dem macht, was sie ist. 

?: Anfang der 70er Jahre gab es in den USA eine Reihe von Videogruppen, die
ihr eigenes Fernsehprogramm machen wollten, nich tbloss Videobänder, wie
zum Beispiel die Videofreaks. Hatten Sie mit diesen Gruppen etwas zu tun?

Davis: Ganz am Anfang habe ich in Washington mit einer Gruppe gearbeite,
die The New Group hieß und Ende der 60er Jahre Performances, Events und
interaktive Mediaarbeiten gemacht hat. Als ich nach New York gezogen bin,
habe ich oft in informellen Ad-Hoc-Allianzen mit Künstlern wie Paik,
Campus, Viola und anderen gearbeitet. Ich kannte die Video Freex und
Raindance, und habe auf informelle Weise mit ihnen kollaboriert. Mit diesem
ganzen Gruppenphänomen ist es aber Anfang der 80er Jahre vorbei gewesen.

?: Bitte erzählen Sie über die Performance, "Seven thoughts", die sie 1976
im Huston Astrodome gemacht haben...

Davis: Ich wollte unbedingt etwas mit Satelliten machen. Das war das Grosse
Unbekannte, und darum exotisch. Ich wollte es benutzen, um damit sehr
avantgardistisches, konzeptuelles Video zu verbreiten, etwas, das niemand
erwartet oder sich gewünscht hatte. Damals hatte noch kein Künstler
irgendetwas mit Satelliten gemacht. Wir haben gedacht, dass wir, wenn wir
Glück hätten, vielleicht einen Fernsehsender überzeugen konnten, eine
"Live" Performance zu machen, oder ein paar Minuten Videokunst zu zeigen.
Dcoh dann empfand ich das als zahm, und dachte, dass das all die Zeit und
das Stiefelküssen, die nötig sein würden, um das zu erreichen, es nicht
wert wären. Ich wollte lieber den Satelliten für mich selbst haben, und sei
es nur ein kleines Bisschen. Das erscheint mir als der radikalere Schritt.

Unterstützt wurde ich dabei vom Contemporary Arts Museum in Huston un
dessen Direktor James Hariths, der die erste Videoabteilung am Everson
Museum in Syracuse einrichtete, und David Ross als Kurator einstellte. Wir
entscheiden uns dafür, den ComSat Satellite anzumieten, um mit ihm eine
kompromisslose Performance zu machen. Es war anscheinend das erste Mal, daß
das ein privater Bürger getan hat. Das war für mich ein Wunder: dieses
Satellitensystem war mit unserem Steuergeld eingerichtet worden, warum
durften wir es da nicht auch benutzten?

Als ich wußte, daß die ganze Arbeit in Houston stattfinden würde, dachte
ich an den Astrodome, der das zu dieser Zeit größte, überdachte Stadion der
Welt hatte, aber vor allem, was noch viel wichtiger war, ganz rund war. Für
mich war die Verbindung zwischen dem Satelliten und diesem "Dome"-Dach sehr
wichtig. Wir haben schließlich die Genehmigung erhalten, den Astrodome am
Abend des 29. Dezember 1976 zu benutzen, denn an dem Tag war er leer, weil
er nicht benutzt wurde, und darum billig zu mieten. Das wäre sonst gar
nicht gegangen, weil weder ich noch das Museum sehr viel Geld hatten. Wenn
Giuseppe Panza, ein Sammler aus Mailand, nicht Geld für eine Arbeit gegeben
hätte, hätte ich die "Seven Thoughts" nie äußern können.

?: Gab es dabei irgend ein Publikum?

Davis: Im Astrodom war niemand außer den Leuten, die an der Performance
mitgearbeitet haben. Aber das Signal aus dem Astrodome hätten Leute auf der
ganzen Welt mir ihren Empfangsgeräten hören können. Fernseh- und
Radiosender auf der ganzen Welt haben unsere Sendung empfangen und
ausgestrahlt. Die "Seven Thoughts" waren freie Gedanken. Wir haben an alle
Comsat-Empfänger ein Telegram geschickt. Ich habe den Menschen auf der
ganzen Welt sieben sehr persönliche Gedanken angeboten. Für mich war
besonders die Privatheit dieser Sendung wichtig. Ich wollte keine
imperialistische Massenbotschaft verbreiten, sondern in persönlichen
Kontant mit jemandem treten... mit Dir... wo immer Du auch warst.

Die Performance begann um halb zehn. Wir konnte das ganze riesige Stadion
mit seinen Lichtern und seinen Anzeigetafeln nur für 30 Minuten mieten. Um
9 Uhr 28, als ich gerade anfangen wollte, kam einer der Hausmeister mit
einem Telefon angelaufen, und rief: "Da ist jemand aus Bombay in Indien
dran. Sie müssen denen die sieben Gedanken sagen, bevor sie das im Radio
ausstrahlen." Aber ich hatte keine Zeit mehr. "Sag denen, dass es ein Gruss
zum neuen Jahr ist", antwortete ich, bevor ich hinaus aufs Feld lief, damit
ich um genau halb zehn anfangen konnte.

Dann begann der stille Teil der Performance, die von den Kameras
aufgezeichnet wurden, die von der Decke des Stadions hingen. Ich lief mit
der kleinen schwarzen Kiste, in der die sieben Gedanken waren, im Kreis
herum. Nach 20 Minuten ging ich in die Mitte des Stadions, wo von oben ein
Mikrophon heruntergelassen wurde. Zwischen 9 Uhr 40 and 9 Uhr 50 sprach
durch das Dach des Stadions über den Satelliten zu den Ohren der Welt. Wir
hatten nur zehn Minuten für die direkte Sendung. Mir gefiel diese
Komprimierung und diese Dichte. Nachdem ich die sieben Gedanken in das
Mikrophon gesprochen hatte, verschloss ich die kleine schwarze Kiste, in
der die Gedanken immer noch stecken und die heute in Milan ist. 

?: Wissen Sie, ob die Gedanken in Indien ausgestrahlt wurden?

Davis: Nein.

?: Was waren die sieben Gedanken?

Davis: Sie waren mal frei. Jetzt sind sie geheim. Nicht mal Panza kennt sie
- er hat versprochen, sie für immer verschlossen zu halten.

?: Auch bei ihrer Performance, die sie für die Eröffnung der Documenta 1977
gemacht habe, ging es um Satelliten...

Davis: Sie hieß "The last nine minutes", wurde vom Hessischen Rundfunk
produziert, und rund um die Welt ausgestrahlt, sogar in die Sovietunion. Es
muß das größte Publikum gewesen, das irgendein Kunst-Event bis dahin gehabt
hatte.

Es gab drei Performances. Die erste war von Nam June Paik und Charlotte
Moorman. Als nächster war Joseph Beuys dran, der eine unglaublich schöne,
vollkommen anarchistische Botschaft an die Welt verbreitete - trotz einer
Reihe von Drohungen, ihn zu zensieren. Worte scheinen immer noch eine
größere Bedrohnung zu sein als Paiks Bilder oder meine stille Performance.

Meine Arbeit hiess "The Last 9 Minutes", weil ich die letzten 9 Minuten der
Sendung für meine Performance hatte. Ich ging wieder im Kreis, man sieht
mich, wie ich um das Zentrum des Fernsehmonitors gehe, und versuche, Dich
zu finden, zu Dir zu sprechen, Dich zu berühren. Meine aufgezeichnete
Stimme sagt, einmal auf Englisch, einmal auf Deutsch, während der Text in
Spanisch über den Bildschirm läuft: "Wo immer Du auch bist, ich werde Dich
in neun Minuten finden. Ich werde alle Ecken, alle Winkel in diesem Raum
und in Deinem Raum durchsuchen. Lege Deine Hände auf den Bildschirm. Lass
mich Deine Uhr ticken hören. Wir werden diese Begrenzung in neun Minuten
zerstören."

Am Schluss gab es einen "Count-down", ein Performer aus Caracas zählte auf
der anderen Seite des Atlantiks in Spanisch von "10" runter zur "1". Ich
forderte alle Zuschauer dazu auf, zusammen mit mir bei "eins" durch die
Mattscheibe zu brechen. Wie durch ein Wunder krachten wir beide genau bei
"1" gegen den Monitor, dann wurde der Bildschirm schwarz. Am nächsten Tag
kam in einem Kasselaner Supermarkt eine Frau zu mir, und sagte: "Ich habe
sie letzte Nacht im Fernsehen gesehen. Jetzt müssen sie mit zu mir kommen,
und meinen kaputten Bildschirm reparieren." Sie hat die ganze Sache
verstanden, oder?

?: Eine andere Satellitenarbeiten von Ihnen war "Double Entendre", das 1981
in New York und Paris aufgeführt wurde. Worum ging es dabei?

Davis: Das war die nächste Satellitenarbeit nach der Documenta. Es ging
dabei um eine Verbindung zwischen dem Whitney Museum of American Art und
dem Centre Pompidou. In Paris war eine Frau, und ich war in New York. Wir
unterhalten uns, dann beginnen wir zu flirten, und dann, uns zu verführen.
Ich spreche nur englisch, sie spricht nur französisch, aber wir sagen
dieselben Sachen zueinander, und verdoppeln die Sprache. Viele der Sachen,
die wir sagten, kamen aus einem damals neuen Buch von Roland Barthes, den
"Fragmenten einer Sprache der Liebe".  Das war der Beginn seines Abschieds
von der Kurzsichtigkeit des Strukturalismus, und ich bewunderte ihn dafür.
Er starb leider nicht lange, nachdem wir uns 1977 kennengerlernt hatten, in
einem Jahr, das in meinem Leben ganz entscheidend war.

"Double Entendre" war eine Videoarbeit, die allerdings vorwiegend in Audio
stattfinden musste, weil wir wieder nicht genug Geld für die Übertragung
bewegter Bilder hatten, aber mir gefiel die Verdoppelung der Medien. Für
den größten Teil dieser Perforamcne hört man lediglich diese beiden Leute
sprechen. Die Worte waren auf dem Bildschirm, aber man hat die Sprecher nur
in den letzten fünf Minuten gesehen.

Am Schluss der Performance sage ich: "Ich halte diese Trennung nicht mehr
aus, ich komme jetzt sofort über den Atlantik." Das bezog sich auf Barthes'
Text, weil er da sagt, daß sowohl die Liebe wie auch die Sprache eine Art
Sprung ist. Ich bitte sie darum, da zu bleiben, wo sie ist und renne aus
dem Whitney Museum hinaus. Mans sieht mich, nun endlich auf Video, wie ich
die Park Avenue entlang laufe. Sie spricht unterdesen mit dem Publikum, und
fragt, ob sie gehen oder bleiben soll. Schließlich entschliesst sie sich,
davon zu laufen. Sie rennt als runter zu dem Platz vor dem Centre Pompidou,
und ich lande direkt vor ihr! Wir jagen einander ein bißchen, und
schließlich umarme ich sie. "Double Entendre" endet mit unserer Umarrmung,
weit weg, im Zwielicht - es ist abend in Paris, nachmittag in New York. Wir
stehen da und verschmelzen mit der Dunkelheit, während zwei Stimmen
gleichzeitig auf Französisch und Englisch darüber spekulieren, was der
Doppelsinn dessen, was da gerade passiert ist, sein könnte.

?: Heisst das, dass Sie von Anfang an in Paris waren?

Davis: Nein. Es heisst, dass das Double überall ist, wie ja schon der Titel
nahelegt. Das war übrigens wirklich ein unglaubliches Double, er sah und
ging ganz genauso wie ich. Ich fuhr nach Paris, um mit ihm zu proben. Alle
Kunstkritiker, die später ein Video von der Arbeit sahe, waren davon
überzeugt, dass die ganze Sache mit der Landung und dem Herumlaufen vorher
aufgezeichnet worden war, aber es war absolut live.

?: In Ihrer Biografie erwähnen sie auch eine Reihe von Performances, die
Sie mit Komar & Melamid in den 70er Jahren gemacht hatten, als die noch in
Moskau lebten. War es nicht schwierig, zu dieser Zeit mit
Dissidentenkünstlern hinter dem "Eiserner Vorhang" in Kontakt zu treten?

Davis: Das hatte damit zu tun, dass ich noch während des Kalten Krieges in
den 70er Jahren nach Russland reisen konnte. Ich kam dort in der Woche an,
bevor Breschnew den   SALT I Vertrag unterzeichnete, der es möglich machte,
dass man als Amerikaner zum ersten Mal seit 50 Jahren herumreisen konnte.
Mir wurde erlaubt, das Atelier von Rodtschenko zu besuchen. Der letzte
Amerikaner, der vor mir dort gewesen war, war 1955 Alfred Barr gewesen.

Ich traf auch einige der jungen russischen Dissidentenkünstler, und war
besonders von den Arbeiten von Ilya Kabakov und den Konzeptkünstlern Vitali
Komar & Alexander Melamid beeindruckt, die ich jetzt oft sehen, weil sie
inzwischen in New York leben. Aber damals konnten wir uns nicht vorstellen,
daß wir uns jemals wieder treffen würden. Es war schon wie ein Wunder, daß
ich überhaupt da war. Also überlegten wir uns, daß wir ein
transatlantisches Kunstwerk schaffen würden, und zwar mit den einzigen
Medien, die uns zu dieser Zeit erlaubt waren: das Telefon und der Fotoapparat.

Ich konnte kein Russisch und sie kein Englisch, aber wir hatten Freunde,
die uns halfen. Ich hatte die Idee, dass wir eine Linie auf meine Wand und
sie eine auf ihre Wand malen könnten, diese fotografieren und dann Fragen
über die Bedeutung dieser Linie per Post austauschen sollten, wodurch die
Arbeit in beiden Städten exisitieren und in der Mittte zusammenkommen
würde. Ich machte das erste Foto um Mitternacht am 31. Dezember 1975, und
sie machten ihr Bild um 8 morgens am 1. Januar 1976 - also im selben
Augenblick.

Es gab keine anderen derartigen Kollaborationen, und deswegen
interessierten sich natürlich die Geheimdienste wie der KGB und der CIA
sehr für die ganze Sache. Vitali und Alexander wollten sehr offen sein,
demm wenn wir versucht hätten, irgend etwas geheimzuhalten, hätte es
wahrscheinlich richtig politischen Ärger gegeben. Darum sprachen wir am
Telefon vollkommen offen über die ganze Sache, und es war mir möglich,
Material von ihnen zu bekommen, das ich in der Zeitschrift "Domus"
veröffentlichte, die es auch in jeder russischen Bücherei gab, was die
Arbeit - di wir "Questions Moscow New York" nannten -  sehr bekannt machte.
Der KGB stellte Fragen, aber sie haben nie etwas getan, um es zu beenden.
Der CIA hat nie irgend etwas gefragt, aber auch sie haben es nicht
unterbunden.

Ursprünglich wollten wir vier Bilder machen: Eins zu Silvester, eins am 1.
Mai, eins am 4. Juli, und eins am 25. November, dem Jahrestag der
Oktoberrevolution. Auf dem letzten Bild trugen sie Mäntel, so, als würden
sie gleich ausgehen, und das nächste, was ich von ihnen hörte, war, dass
sie erfolgreich nach Israel ausgewandert waren! Das fünfte Bild wurde darum
in Tel Aviv und New York gemacht, und für das letzte Bild, oder für das,
was wir für das letzte Bild hielten, kamen sie schliesslich nach New York,
und wir machten eine Aufnahme in meiner Gallerie, Ronald Feldman, das "The
End of the Line" heisst, und auf dem  man sieht, wie wir die Linie von der
Wand reissen.

Fünfzehn Jahre vergehen, es ist Perestroika, und 1991 fahre ich nach
Moskau. Wir machen aus, dass wir noch ein Bild machen, bei dem alles anders
herum ist: ich stehe auf dem Roten Platz, und sie vor dem Rockefeller
Center. Es ist ein wunderschönes, farbiges Wandgemälde. 

?: Aber Sie haben nie zusammengearbeiten, während sie physisch im selben
Raum waren?

Davis: Nur einmal, auf dem sechsten Bild von 1978. Auf dem Bild von 1991
halte ich die Linie, und sie hängt aus meiner Hand vom Roten Platz runter,
und sie fassen sie unten auf dem Rockefeller Center an. Vielleicht machen
wir noch eins im Jahr 2000. Das hängt davon ab, ob einer von uns zu einem
aussergewöhnlichen Ort gehen. Zum Beispiel auf den Mond oder den Jupiter.
(lacht)

?: Ihr "World's Longest Sentences" war eins der ersten Kunstwerken im
Internet, wenn nicht sogar das erste überhaupt. Wie sind Sie darauf
gekommen, etwas im Internet zu machen? Und was für Erfahrungen haben Sie
mit dieser Arbeit gemacht?

Davis: Das waren alles ein Wunder. Ein winziges Kunstmuseum in der Bronx,
dem ärmsten Bezirk in den ganzen Vereinigsten Staaten, bekam 1994 einen
eigenen Webserver, was damals noch eine recht seltene Sache war. Susan
Hoeltzel, die Leiterin, bat mich darum, eine neue Arbeit zu schaffen, die
mit dem Titel der Ausstellung zu tun hatte, die "InterActions (1967-1981)"
hiess, und in der es um meine frühe Arbeit ging. Sie hatte auch die Idee,
die ganze Show im Netz zu dokumentieren.

Ich dachte sofort an die Tastatur, das Mittel zur Interaktion, die es beim
Computer gibt, aber nicht bei Video oder anderer "flacher Kunst". Der
riesige Unterschied zwischen dem Fernsehen und dem Web ist die Tastatur:
damit kann man alles sagen, und alle Möglichkeiten, sich auszudrücken,
stehen einem damit zur Verfügung.. Das bedeutet, dass es eine intensivere
und persönliche Verbindung zwischen mir und dem Publikum entstehen kann -
und warum sollte man nicht die ganze Welt dazu bekommen, zusammen einen
Satz zu schreiben. 

?: Wissen Sie von irgendwelchen anderen Künstlern,die zu dieser Zeit das
Internet als Kunstmedium benutzt haben?

Davis: Das war 1994. In dieser Zeit gingen immer mehr Leute mit ihren
Heimcomputern online. Al Gore hatte das sogar im Präsidentschaftswahlkampf
von 1992 zum Thema gemacht. Aber niemand verwendete das Internet, um damit
Kunst zu machen. Alle Museen waren schon online. Man konnte sich Web die
Sammlung des Nationalmuseums in Canberra oder sowas ansehen, aber es gab
keine neue Kunst für das Internet.

Als wir mit der Arbeit anfingen, versicherten mir meine Kollegen Robert
Schneider und Gary Welz, dass man ein Programm schreiben könnte, das
verhinderte, dass man einen Punkt schreibt. Das bedeutet, dass einem,
sobald man sich an dem "Satz" beteiligte, klar wurde, dass man zu einem
fortgehenden Statement beiträgt, das nie aufhört. Meine Arbeit mit Dir und
der Welt ist ein Abenteuer, das niemals aufhört. Jeden Tag, jeden Monat,
jedes Jahr ändert es sich. Inzwischen sind die Beiträge grafisch viel
avancierter als früher. Der Satz strahlt jetzt in einem heißen Pink und hat
pulsierendes Java, Video, Audio, Farbe, einfach alles. Am Anfang war er
schwarz-weiß, aber voller Seele und Persönlichkeit.

Die ursprüngliche Leidenschaft ist noch da, aber sie ist inzwischen so gut
designt, dass man überhört, was die Welt da sagt. Das wichtigste am
"Sentence" ist der Inhalt. Im Jahr 2000 wird das Whitney, dem der
"Sentence" jetzt gehört, zusammen mit der Kunstbuchhandlung Printed Matter
und mir die Arbeit zum erstenmal ausdrucken, um "The World's First
Collaborative Book" zu publizieren

?: Glauben Sie, dass das Internet erreicht hat, was sie mit ihren
Performances erreichen wollten? Die Massenmedien zu ent-massen?

Davis: Ja. Es ist das definitive Mittel, wenn man wirklich intensive
Reaktionen von den Leuten haben will.. Bei Arbeiten wie "The world's
longest Sentence" können sie sich aktiv an der Entwicklung von etwas
beteiligen. Ich bin immer noch absolut überwältigt davon, wieviele Leute
sich mit dem Satz beschäftigen, und was sie mit ihm machen. Andererseits.
Nieder mit allen Medien! Nieder mit dem Web! Hoch mit...Dir!

?: Aber wie "interaktiv" ist es, an einem Satz weiterzuschreiben, der so
lang ist, daß ihn nie jemand zuende lesen wird?

Davis: Aber die Leute lesen den Satz doch. Wenn wir ein Buch machen, werden
sogar noch mehr Leute den Satz lesen. Wenn man selbst viel Zeit auf diesen
Satz verwendet, wird man sicher auch seinen Freunden davon erzählen. Wenn
man den Satz liest, kriegt man auch die Interaktion mit, die es zwischen
den Leuten gibt. Es gibt verschiedene Themen, die immer wieder vorkommen,
zum Beispiel die linguistische Natur dieser Sache - ist das überhaupt ein
Satz? -, aber auch Einsamkeit, Zeit, Raum, Liebe, Verlangen, Kunst, Poesie,
Politik.

Es gibt in dem Satz auch eine Menge persönlicher Enthüllungen. Es ist auf
jeden Fall wesentlich tiefer als der Quatsch, der normalerweise auf
Chatlines vorgeht. Die Leute enthüllen dort Dinge über sich, zum Beispiel
darüber, wie ihre Eltern gestorben sind oder wie ihre Beziehung auf
entsetzliche Weise zuende gegangen ist, oder Probleme mit der Polizei. Es
geht da um ziemlich schlimme Sachen. Andererseits gibt es auch viel Humor,
Wortspiele und dergleichen. 

?: Aber trotzdem: technisch betrachtet füllen die Leute lediglich ein
Formular aus, das ein anderer für sie geschaffen hat...

Davis: Das sehen Sie vielleicht so, aber nicht jeder andere, Gott sei dank.
Ich könnte auch das genaue Gegenteil sagen. Der Grund, warum der "Sentence"
so eine interaktive Gemme ist, ist der, dass es keine Regeln gibt, ausser
der einen: man darf keinen Punkt machen. Die Leute veröffentlichen dort
Bilder, es gibt Links zu ihren eigenen Sites, sie schreiben, singen, freuen
sich ihres Lebens. Das ist von täuschender Einfachheit, es gibt keine
Gimmicks. Darum kommen die Leute zu dieser Site, zum Teil immer wieder,
weil sie dort frei sprechen und sich Gehör verschaffen können.

?: Stimmt es, dass Sie diese Arbeit verkauft haben?

Davis: Ja, der Name des Sammlers war Eugene M. Shwartz. Er war ein grosser
Sammler von Gegenwartskunst in New York, und interessierte sich besonders
für Avantgardekunst. Er rief mich an, und sagte: "Worum geht es bei dieser
Arbeit?" Als ich es ihm erklärte, sagte er: "Das will ich kaufen."

?: War Ihnen vorher schon mal die Idee gekommen, dass man diese Arbeit
verkaufen könnte?

Davis: Nein. Wissen Sie, es ist immer noch schwierig, Videos zu verkaufen.
Video ist zwar auch ein Sammlerstück geworden, aber zu sehr niedrigen
Preisen. Wenn man das zum Beispiel mit dem Impressionismus vergleicht: die
haben viel früher viel Geld verdient als wir. Manet bekam 20 Jahre nach
seiner ersten Ausstellung eine wichtige Medaillie vom König von Frankreich.
Darum sind wir immer noch avantgardistischer als die Impressionisten es je
waren (lacht).

Mit kam es zu früh vor, um bereits Netzkunst zu verkaufen, aber ich hatte
nicht mit Gene gerechnet. Die Arbeit ging im September 1994 online; er
kaufte sie im Januar 1995. Damals gab es noch nicht so besonders viel. Wenn
man auf Seite 4 des Satzes nachsieht, kann man lesen, dass er die Arbeite
kauft, weil er da seine Absicht eingetippt hat. Der "Sentence"  blieb auf
dem Server des Lehman Colleges, aber seine Witwe vermachte seine Sammlung
meiner Arbeiten dem Whitney.  Das war für ein traditionales Museum eine
recht gewagte Sache, die bestimmt auch von dem damaligen Direktor David
Ross getragen wurde, der ja in den 70er Jahren am Everson Museum der erste
Videokurator überhaupt war. Die müssen die Arbeit wie ein Gemälde erhalten,
und das, obwohl es sich bis in alle Ewigkeit weiterentwickelt und verändern
kann.

?: Dasselbe könnte man wohl auch über Ihre Projekt "MetaBody" sagen, bei
dem die Teilnehmer statt Satzteilen Bilder des menschlichen Körpers
beitragen können...

Davis: "MetaBody" ist ebenfalls in der Sammlung eines privaten Sammlers. Er
macht sich deswegen keine Sorgen, aber diese Arbeit wird sich ebenfalls für
immer weiterentwickeln. Es macht viel Spass, sich "MetaBody" anzusehen und
ist sehr sexy. Als wir mit "MetaBody" angefangen haben, konnten wir keine
Dateien, die größer als 100 K hochladen. Es gibt immer noch technische
Beschränkungen, aber ich habe jetzt einen guten Computer, und kann mir
deswegen endlich zum ersten Mal das ganze Ding selbst herunterladen.

?: Geht es bei "MetaBody" darum, den eigenen Körper ins dieses neue Medium
hochzuladen? Und ist das nicht letztlich die logische Konsequenz aus ihrer
gesamten künstlerischen Arbeit?

Davis Ja, sicher, und mein Körper ist ja auch bei "Metabody" dabei, nackt
und ohne sich dafür zu schämen, zusammen mit Euren Körpern. Ich verlange
ganz offensichtlich danach, mich mit dem Anderen über große Entfernungen zu
verbinden. Je weiter weg, umso besser gefällt es mir - solange wir nur die
Kluft zwischen uns schliessen und einander berühren können. In der letzten
Zeit interessiere ich mich darum sehr für Quanten-Teleportation. Die
theoretische Möglichkeit von Teleportation ist bewiesen worden, das steht
auf der Website von IBM. Es ist möglich, Masse von einem Ende des
Universums zum andere zu transportieren - sozusagen den Körper zu faxen.
Das einzige Problem ist noch, daß die Vorlage sich selbst zerstört. Wenn
man gehen würde, würde sich der Körper beim Versand aufllösen. Das würde
ich unglaublich gerne tun... (lacht)

?: Das könnte Ihre letzte Arbeit sein...

Davis: Ja. Andererseits könnte man vielleicht auch eine Serie daraus
machen. Vielleicht komme ich ja zurück. Ich denke, was mir am besten daran
gefällt, ist, dass man nicht weiss, wie es ausgehen wird. Alle diese
Sachen, die ich bis heute getan habe und noch tun will, haben immer einen
offenen Ausgang. Das ist meine erste Obsession. Die zweite Obsession ist
der Andere, die anderen Leute. All diese Medien sind letztlich nur
verschiedene Methoden, um diese Bedürfnisse zu bedienen. Es sind nur
verschiedene Methoden, um sich aufzumachen; - in einen anderen Raum, eine
andere Zeit, eine andere Kultur, und dort ein Beziehung mit jemand anders
herzustellen.

?: Wohin würden Sie sich denn gerne teleportieren lassen?

Davis: Oh, das wäre mir egal. Ich will einfach bloss LOS! (lacht)




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Douglas Davis Homepage
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"World's First Collaborative Sentence" 
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"MetaBody" 
http://www.ps1.org/body/

"Terrible Beauty" 
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