Ruine der Kuenste Berlin on 14 Nov 2000 11:49:55 -0000
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[rohrpost] CYNETart 2000 Dresden, ein Detail
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Angefangen, teils vorbei, zum Nachlesen
CYNETArt 2000 Dresden, 9.-26. Nov. 2000, Kunst Haus
Dresden, Festspielhaus Hellerau
Symposium anlässlich des 4.Festivals für computergestützte
Kunst,
Samstag, 11.11.2000, Deutsches Hygiene-Museum,
Vortragende: Tilman Baumgärtel, Wolf Kahlen, Fevzi Konuk,
Moderation: Reinhart Büttner, Klaus Nicolai
hier:
Wolf Kahlen
Selbst-los im Netz - Der karmische Aspekt des
Netzes
Ich zeige Ihnen ein 'sparsames' Stück.
Und sage dazu
ein paar nicht ganz so sparsame Sätze.
Die Sätze sind keine Interpretationen
des Stücks, sondern die Erfahrungen davor, die mich befähigt haben, in dem Stück
auf den Punkt zu kommen.
Es ist also umgekehrt: ich lade das Stück nicht
hinterher mit Gedanken auf, sondern das Stück lädt sich selber sinnlich auf und
ab.
Wie eine Sanduhr.
Nicht nur aeusserlich.
Erst löst sich ein
Sandkorn aus der Menge, zwängt sich einzeln sichtbar durchs Nadelöhr, und
verschwindet dann wieder in der Menge. Wenn alle oben raus sind, dreht
sich diese Sand- , hier ist es eine 'Pixeluhr', von selbst wieder um, um
'dasselbe' Spiel in anderer Form (nicht) zu wiederholen: die Pixelhaufen, 'oben
und unten' , das erste und das spätere Bild, haben natürlich endlos
variierende Formen, sind andere Erscheinungen, sind andere
Entitäten.
Das Stück heisst SELBST-LOS oder SELF-LESS, was nicht
identisch ist. Da schwingt More less than self mit im englischen Titel zum
Beispiel, wenn Sie verstehen, was ich meine und mehr Selbst im deutschen.
Und wie ein guter Titel, wie die von Paul Klee zum Beispiel, ist dieser hier
auch keine Interpretation, sondern ein Baustein mehr, genauer gesagt
ein Pixel mehr zum Stück. Natürlich kein einzelnes, kaum sichtbares Pixel,
sondern ein Pixelpäckchen.
Ein Bild stirbt, schon auf der ersten Seite, in
diesem Falle meines von vor 30 Jahren, in dem ich in einem Selbstversuch die
Senkrechte im Körper in einer Schneise meiner Brusthaare suchte. Das Sujet muss
nicht Ich sein. Es könnte auch eine Kartoffel sein, aber dann müssten wir uns
über den Begriff des Selbst unterhalten, denn der käme bei einer Kartoffel
nicht automatisch sinnlich rüber, obwohl die Kartoffel, was langsam anerkannt
werden muss, auch ein Selbst hat, das wir als Menschen aus Besitzstandsdenken
nur nicht bereit sind zuzugeben. Das Bild stirbt also auf der ersten Seite an
Durchlöcherung, aber langsam, beim Anclicken fällt ein einzelnes Pixel raus, der
nächste User verursacht das Herausfallen des nächsten, eines jeweils zufälligen,
usw.
Auf der zweiten Seite, im Nadelöhr sozusagen, sehen und
hören wir, woran das Bild stirbt, an dem (und anderen) ausgelösten Pixel(n),
einer Pixel-Absorptionskrankeit sagen wir mal. Blutkörperchenverlust zu sagen
wäre zu pathetisch, würde ich Geist- oder Energiepäckchenverlust sagen, klänge
das noch unglaublicher, obwohl das nun wieder genau zutrifft.
Und auf der
dritten Seite formiert sich der abgeflossene, abgesaugte Pixelhaufen neu -Sie
haben doch das wegschlürfende Geräusch in dem 'Pixelrauschen' eben gehört!?-.
Ein neues Bild, Achtung es ist ein anderes, wächst click by click heran, ein
neues Selbst baut sich auf: Seite 1 = Tod, Seite 2 = Diagnose, Seite 3 =
Wiedergeburt eines Anderen, das nicht nur die Umkehr vom Negativ ins Positiv
ist. Das Negativ-Positiv-Umkippen ist nur der äussere Schein, wenn Sie genau
hinsehen, der Unterschied der beiden Selbst ist homöopathisch dosiert, das heißt
nur für oberflächliche Denker marginal, für sinnliche Wahrnehmer ein höchst
effektives Salzkörnchen in der Suppe.
Der Vorgang zeigt Bedingtheit,
meinetwegen nennen Sie das auch Interdependenz, der grössere Teil der
(asiatischen) Welt nennt das Karma, ein kürzeres Wort kenne ich nicht, und
schöner ist es auch als die zwei ersteren. Nicht aus Koketterie mit dem
(tatsächlich) Globalem benutze ich das Wort Karma, sondern ich sehe das auch so.
Und das Netz ist voll solcher 'nachhaltiger Taten', ein Musterobjekt für den
Nachweis solcher Spuren von Aktionen, deren Synonym der Click ist. Von winzigen
Taten, die energetisch etwas in die Welt gesetzt haben, das wie Teeflecken nie
wieder rausgeht. Oberflächlich vielleicht schon, tiefenpsychologisch gesehen
aber nicht. Damit wir uns nicht missverstehen, ich will Karma nicht mit
'Christlicher Schuld' vergleichen, um Allahs Willen, nein mir geht es ums reine
Feststellen, dass da etwas Unabänderliches geschieht, das man garnicht mehr
gutmachen kann. Was in der Welt ist, ist in der Welt, ob 'gutes oder schlechtes'
Clicken. Es gibt aber einen, wohl aussichtslosen, Traum: wenn man Karma
vermeiden könnte, das wäre doch was.
Mein Stück kommt gezielt mittelalterlich
daher. Scheint nur minimalistisch. Oder konstruktiv. Ist aber noch weit
reduzierter, ist ein 'reiner' Prozess, aber ein quasi reversibler und nicht
aufhaltbarer, der sich von der Entropie in Negentropie und ins Chaos und auf-
und abschaukelt, eben wie Leben und Tod verlaufen, einer der kommt und geht.
Wenn jemand in der Presse am Anfang des infiniten Prozesses im Januar 2000
schrieb, Kahlen 'opfert sich rituell im Netz', dann war das mehr als
billiger Klamauk, dann war das der enthüllende Beweis, wie wir Menschen,
kleinlich am aktuellen Sein verhaftet, das bildliche Opfer nicht als im
Alltäglichen stets vorhanden wiedererkennen, sondern wir nur dessen einmaliges,
lineares, nachrichtengeiles Spektakel 'verstehen'.
Mein Stück zeigt ein
einziges Bild auf der sonst leeren Seite, als ob das Netz ein Buch wäre.Den
Hyperventilierenden usern stehen schon jetzt die Haare zu Berge. Da gibt es
garnichts pseudozukommunizieren, keine buttons, kein chatten, kein Abschiessen,
kein Anclicken, nichts zu bestellen und nichts zu kaufen. Man darf nicht mal Ja
oder Nein dazu sagen.
Unbemerkt für den Einzelnen verändert sich das Stück durch
'Die neue Kulturtechnik des Clickens'
die wir seit dem On und Off-Schalten der Maschinen mittels
der gemeinen Elektrizität, und das ist uns in Fleisch und Blut
übergegangen, garnicht mehr in ihrer psychoästhetischen medialen
Rückwirkung auf unser Sein reflektieren. Das Lagerfeuer früher brannte manchmal
besser, manchmal schlechter, flackerte auf oder ab, ach nein, oder doch ? Das
TV-Lagerfeuer kann nur wie ein lästiger Gast durch Abschalten der Saftzufuhr zum
Gehen veranlasst werden. Damals fehlte das Binäre, diese neue rigorose,
angeblich wertvolle Entscheidungsfreude zwischen Ja oder Nein, Tod oder Leben,
Männlich oder Weiblich. Entweder bist Du oder nicht. Das ist
Händlermentalität, entweder Du kaufst oder nicht, das Handeln vorher zählt
hinterher nicht mehr, taucht in der Statistik nicht auf. Dabei ist das das
Leben. Ach wie schön waren die Vielleicht, die Malsehen, ein MeinstDuWirklich.
Wir waren schon mal viel weiter in der Geistesgeschichte der Menschheit, wir
haben, wenn es um den Computer als Einfluss auf unsere Psyche (nicht um seine
sonstigen Berechtigungen) geht, mit ihm den 'grössten Rückschritt in der
Geistesgeschichte der Menschheit' (W.K.) je gemacht. Wir haben die
homöopathischen Dosierungen zwischen den Polen Ja und Nein, die Stufen zwischen
Leben und Sterben philosophisch und im Alltag schon mal besser, feiner im Griff
gehabt. Vorbei, grob ist angesagt. Erst mal, bis zum nächsten (positiven)
Rückschlag des Mediums (den gibt es ja auch), der schon heranrollt.
Noch mittelalterlicher, 'gemeiner' von mir
ist, jedes 'Blatt' instant im Augenblick des Clicks zu nummerieren und zu
signieren. Als Angebot. Weil wir, wenn wir ehrlich sind, alle wissen, dass die
Dualität von Körper und Geist, also das Materielle und das Immaterielle, nicht
nur nicht aufzuheben möglich, sondern auch nicht wünschenswert sind . Die, die
mit wirklichen Avataren Umgang haben, sitzen kaum hier unten im Publikum,
sondern aus guten Gründen in selbstgewählter Einsamkeit. Die anderen kokettieren
damit.
Was ich meine:
Es gibt die Erfahrung des Selbst-Los,
das
ist ein ambivalentes: einerseits Sich-Selbst-Los-Werdens,
das Aufgelöst-
oder Von-Sich-Selbst-Getrennt-Werden durch jemand Anderen,
andererseits das
des Selbst Freiwillig-Aufgeben,
es gibt also natürlich einen passiven
und einen aktiven Weg:
Und dafür gibt es auch zwei Wege der entsprechenden
Erfahrung:
Entweder Festhalten-am-Sein, an der Materie, am Fixieren, am
Sammeln, das heisst, die drei Blätter ausdrucken und deren Einzigartigkeit und
Wert bewiesen sehen in der Nummerierung und Signatur und sinnlich und das
geniessen.
Oder Den-Wandel-lieben und geniessen, den ephemeren in der Zeit
und den ätherischen im Raum, den ohne äussere Spuren.
Glauben Sie nicht, dass
der zweite Weg wäre besser als der erste oder umgekehrt, er ist nur ein
anderer, er gehört zu unserer anderen Seite, die niemals abheben
kann.
Sie sehen, ich nehme den Eikonisch-Perzipierenden, den
Bildliche-Codes-Liebenden genauso ernst wie den, der wie ein Textleser eines
guten Buches in der Lage ist, in der Zeit des Lesens sich vorherige Seiten oder
Sätze im Geist transparent über oder unter den gerade gelesenen Text zu legen,
wie Matrizen, wie Netze, die übereinandergeschoben interferieren oder
oszillieren. So lassen sich Raum und noch weitere Dimensionen
durchwandern.
Wenn Sie meine drei Blätter transparent übereinanderlegen
würden, hätte jeder hundert Prozent der Botschaft, keiner weniger oder mehr,
keiner einen aufregenderen oder langweiligeren Zustand, alle eine gleiche
ikonische Erfahrung, aber jeder ein unikates Triptychon. So, wie jeder von uns
die Welt erfährt, unikat.
Es darf nicht erstaunen, wenn sog. Orale
Gesellschaften, aus der Vorzeit ins Jetzt katapultiert, sich wie
selbstverständlich im Netz zurechtfinden: Weil sie das bildhafte Denken und
Sprechen für ihren Kontext perfektioniert hatten, den Blitz des Zeus oder das
Orakel von Delphi, einen hinduistischen Baumgott oder die Nagas der Gewässer in
Tibet, alle wesenhaften Bilder, mit denen sie alle Vielfalt auf einmal und
instant überbrücken und erklären konnten.
Das Merkwürdige ist nur, dass
heutzutage wir 'Westler' uns die Welt mit Mäusen, weicher und harter Ware
erklären, nicht sie die Begriffe mitbringen. Sie können schon (oder noch)
Bilder handhaben. Wir haben von Jahrhundert zu Jahrhundert zunehmend Probleme
damit, haben mit der Entwicklung jedes neuen Mediums Schritt für Schritt
geglaubt, uns auf dem Wege der Desillusionierung der Realität zu nähern. Und
sind dabei nur in höchste Konflikte mit unserer Psyche geraten, die 'in Bildern
denkt'. Die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte, an der ich als
Medienbildhauer nicht unbeteiligt bin, zeigt dieses Drama sehr deutlich: die
besten Arbeiten beschäftigen sich genau mit dem den Anderen verborgenen Prozess
der spezifischen Wechselwirkungen von Medium als Träger, aber auch als Material
des Bewusstseins von Welt, die Erkenntnis, dass jedes neue und alte Medium, ob
Video, Spiegel, Hammer oder Geld, aber auch der eigene Körper, die Pflanze und
der Traum nur ein neuer Baustein zur Illusionierung oder Desillusionierung der
Welt ist. Dass letztlich alle Medien wieder nur Modelle der Welt, also Bilder
erzeugen.
Das wusste auch Walter Benjamin:
(frei nach ihm)
Wer in Zukunft keine Bilder lesen kann,
ist der wirkliche Analphabet.
Und damit bin ich beim Sprachsalat, der heute
weltweit vor uns liegt:
Ein leitbildhaftes Zitat des vermutlichen Präsidenten
der Vereinigten Staaten, George Bush genügt als Synonym: Wie schreibt er doch in
seiner unnachahmlichen Diktion, voller grammatikalischer Fehler:
DOES our
children learn?
Da kann ich nur antworten:
Yes, Mr. President, they do,
unfortunately they learn your language. On top of that basic one of the secret
world dictators Mr. Microsoft, Mr. Apple and other Mickey-Mice, which
came along as a softy, as an apple and tiny little mice, but have taken over
like any other dictator in the history of mankind dreamd of, forcing us 1. to
speak their language, 2. to use their highways 3. to pay tributes to them. And
almost no government or individuals worlwide have reacted, while they
occupied the globe in the most spectacular and smoothest way an occupation
took place ever.