caspar stracke on 28 Nov 2000 08:08:16 -0000 |
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[rohrpost] Re: VinylVideo on Serling's Dead Media |
>>der ausgestorbenen Medien ein weiteres Exemplar hinzufügt - allerdings >>eins, das es so nie gegeben hat. >Tut leid - so gesagt, ist das falsch. Es ist _keine_ neue Erfindung. Hab ich schon häefiger gehoert und zunäechst ebenso beauptet. Es stimmt und stimmt wiederum nicht. Video on Vinyl wird zur hochinteressante Diskussion die sich bald auch genauer in Bruce Sterling's Idee zur im Netz entstehenden Kulturgeschichte der TOTEN MEDIEN einschreiben wird. (spaeter mehr linkisches dazu) Ich schreibe mir zur Zeit an diesem Thema die Finger wund weil ich vor einem Jahr zum begeisterten Sammler eines 70er Jahre Schalplattenvideoformats(!) geworden bin. Deshalb erlaube ich mir hier etwas ausführlicher auf das Thema einzugehen. Zunaechst etwas zu Gebhard Sengmüllers Projekt: Natuerlich hat es schon einige Plattenmedien gegeben die Videobilder reproduzieren konnten. Gebhard Sengmüller's Technologie -die sich mittlerweile schon mehr als drei Jahre in Rotation befindet- ist aber die einzige die tatsächlich auf einem gewöhnlichen Plattenspieler funktioniert. Er war damit so erfolgreich weil es sich um ein wirklich originelles Experiment handelt, bei dem sich eine digitale Technologie in eine analoge einnistet und dort einen neuen Nabelfortsatz bildet. Was seine Effizienz anbelangt, so bleibt diese Technologie völlig unberührt, ja unbeeindruckt gegenüber seiner Hi-Resolution-Videoumwelt. (Ähnlich verhielt sich Pixelvision und ebenso die Netcams) Aber diese Bilder sind ins Vinyl geritzt und Vinyl bleibt mit großer Garantie ein andauerder Kult. Und weil es durch diesen Turntabulismus um so mehr günstge Plattenpressen gibt macht VinylVideo auch so viel Spaß: Jeder kann sein eigenes knisterndes Schwarzweiß Video produzieren lassen und es dann selbst (kaputt)scratchen! Es läßt sich wunderbar darüber streiten, wie man die um das Projekt herumgesponnende Medienphilosophie bewerten möchte. Denn diese besteht aus so etwas wie einem medienarcheologischen Mummenschanz. Neben dem vom VinylVideo wohl nur halb ernstgemeinten Markenartikel-Spiel in modisch-stilechter 50erJahre Werbeaesthetik, belächeln ihre Macher einerseits die 1923 erstmals erfundene Schallplattenaufzeichnung von Videosignalen, weil diese zwar aufzeichnen konnten aber nicht abspielen. Dann behaupten sie aber, VinylVideo sei das erste Medium welches Video tatsächlich vom einer Schallplatte abspielen kann. An dieser Stelle koennte ein Medienhistoriker mit hocherhobenen Zeigefinger wedeln und behaupten das waere eine glatte Luege. Und genau darin liegt der Witz: Wenn hier ein analoges Medium mit digitaler Technologie in einem Gewaltakt zu einem Resultat gezungen wird, daß analog sehr viel besser zu realisieren ist, dann geht es hier um einen bereits bekannten Generationskonflikt der Technologien. Goethe spricht in den Phongraphen - Der Phonograph flüstert’s in den Computer. Da das Projekt VinylVideo nicht in der Technikgeschichte, aber in der Kunstgeschichte bereits seinen Platz gefunden hat, sollte man den hartgesottenen Tüftlern ihre Scherze gönnen. Das System funktioniert mit einem digitalen Konverter der aus dem Audiosignal der Schallplatte ein Videosignal zaubert. Ich war vor einiger Zeit bei der Präsentation von The Thing NY, mitunter war da ein Haufen gierig herumlungernder DJ's und VJ's aus New York's Electronica Miniaturszene (ein Dorf!) Inmitten allgemeiner Begeisterung eröffnete Sengmüller schließlich, daß man die Dinger leider nicht scratchen kann, aber es gäbe -zum Trost- eine Art "DJ mode": Nichtkonvertierte Signale sehen im Fernsehmonitor alledings so aus wie oszillographen-ähnliche Schlangenlinien. Die kann man zwar scratchen, aber dann zittern nur schwarzweiße Striche. Eine gewisse Enttäuschung war da schon abzulesen in den vielen DJ Kindleräuglein. Doch davon unbetrübt hat eine internationale Schar von begeisterten Anhaengern eine handvoll erlesener Videoarbeiten produziert. Ein großer Teil kam von Netzkünstlern, denn fuer die war dieses Format geradezu ideal: Viele Macher sind des streamens überdrüssig gewordene Ex-Videokuenstler (jetzt Flashkinder) und andere Schnellzeitbastler die sowieso in ihren RealPlayern lieber Schwarzweiss als Farbe sehen. Frank Ablinger schreibt: >In den frühen 70'ern hat Philips mit exakt sowas experimentiert, es exisiert ein lauffähiger Prototyp. Die Platte konnte nur "nass" laufen, Staub und Kratzer beeinträchtigten die Qualität des (schwarzweiss-) Bildes erheblich. Diese Information hab' ich aus alten Exemplaren von "Hobby - das Magazin der Technik". >Da unmittelbar danach die Laserdisc als Konkurrenz zunächst für Ton, später für Bild aufgekommen ist, war dem Prototypen leider kein Leben als Produkt beschieden... > Hochinteressant! Auch was für die DEAD MEDIA Sammlung. Das Spiel ging aber noch weiter: Denn in den späten 70ern gab es dann das CED System. Capacitance Electronic Disc. Das war - jetzt wird's spannend- Video in *Farbe* und Stereo auf Schalplatte, abgespielt mit einer hochempfindlichen Diamantnadel!! CEDs waren nur 5 - 6 Jahre in den USA populaer (sowie Canada und England) und wurden sehr bald von den ersten Laserdisk Formaten überholt. Das ganze System ist etwas komplizierter als ein Plattenspieler, denn die Rillen verlaufenen horizontal in Bergen und Taelern (ebenso die erste Edison Platte) und sind sehr viel feiner als die auf einer gewoehnlichen Schallplatte. Da ganze funktioniert auch nur, weil der Plattenteller mit einem direct drive(!) mit 450rpm losfetzt. Das eigentliche Geheimnis ist aber die Kondensator ("Capacitance")-Technik mit der man in analogen Videotagen schon soviel Information aus einer Plattenrille herausholen konnte um ein VHS überbietendes Videobild in Farbe zu generieren. Die Schallplatte besitzt eine Kohleschicht mit statischer Aufladung. An der Diamatennadel haftet eine Elektrode aus Titanium. Durch die vertikale Zackenschrift enstehen sich staendig veraendernde Aufladungen welche ein kombiniertes Video/Audio Signal produzieren. Dieses wird durch einen prä-historischen Frame-buffer geschickt und dann zu einem Videobild konvertiert. CED Disks sind hochempfindlich und deshalb in eine große Plastikhuelle eingeschlossen, die so aussieht wie eine riesengroße Floppydisk. Meineswissens gab es CEDs nie in Deutschland, ebensowenig wie die legendaeren PIXELVISION 2000 Kameras die Florian Cramer erwähnt. (Doch moechte ich hinzufügen daß von den zahlreichen Pixelvideomacher in den 80ern bedeutendere Werke produziert wurden als vom quirligen Baltimore-Prankster tENTATIVE!) Der Science-Fiction Autor Bruce Sterling hat zusammen mit Richard Kadrey ein Archiv ueber tote Medien angelegt. Die Webseite ist auf den ersten Blick etwas technikeralbern, ihr Inhalt aber um so spannender fuer diejenigen, die sich fuer irrwitzige, vergessene Bild und Ton Formate oder tote Computerplattformen interessieren. Leider wird dort hauptsaechlich emisg aufgelistet und noch viel zu wenig refliektiert. ...z.B. koennte dort vieles über bestimmte “Revivals” oder kuensterische Appropriationen berichtet werden. Deshalb moechte ich jeden, der auf diesem Gebiet taetig ist dazu ermutigen, mal einen Blick auf dieses Archiv zu werfen und -wem danach ist- sich einzuschreiben und etwas beizusteuern. Caspar Stracke Links: http://www.deadmedia.org http://www.vinylvideo.com/ Das CED System vorgestellt von einem absolut obssesiven Sammler und Ex-CED Hersteller http://www.cedmagic.com Das erste Schallplattenvideo system von 1923 http://www.dfm.dircon.co.uk/ __________________________________________________ Do You Yahoo!? Yahoo! Shopping - Thousands of Stores. Millions of Products. http://shopping.yahoo.com/ ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost