Florian Cramer on 28 Nov 2000 15:04:22 -0000


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[rohrpost] Etwas Offtopic: Freie Software-Desktops (unredigierter "Berliner Zeitung"-Artikel)


[Da in der Rohrpost gelegentlich auch Freie Software bzw. "Open Source"
diskutiert wird, hoffe ich, daß diese Posting nur leicht, aber nicht völlig
offtopic ist. Die netzkulturelle Schlußfolgerung steckt eher zwischen den
Zeilen. Ein offenes, dezentral entwickeltes und deshalb in sich amorphes
System ist strukturell nicht die zentralisierte Logik einer "einfachen"
Konfigurierbarkeit zwängbar und wird es nie sein. Auch bei PCs ist Freiheit
nur um den Preis der Komplexität zu haben. Eine redigierte Fassung dieses
Artikels ist heute in der Berliner Zeitung erschienen (und online lesbar
unter
<http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/multimedia/.html/28artik04.html>.
Interessant ist, daß die Redaktion seine Benutzerfreundlichkeit auch nur um
den Preis von Kompromissen bei der technischen Akkuratesse erhöhen konnte.
-FC]



Alle Hürden beseitigt? KDE 2.0 und Nautilus versprechen ein einfaches Linux


Bunte Bilder, Dateifenster, Mausmenüs: Mit der Windows-ähnlichen
Benutzeroberfläche KDE 2.0 <www.kde.org> und der Dateiverwaltung "Nautilus"
unternehmen Linux-Entwickler zwei neue Versuche, das freie Betriebssystem
allen Computernutzern schmackhaft zu machen. Was unter diesen Oberflächen
liegt, widersetzt sich jedoch der Eingliederung in simple Menüs und bleibt
schwer verdaulich für Normalanwender.

Linux ist heute, dank der Arbeit von Distributoren wie RedHat und SuSE,
leicht auf dem PC installiert. Die meisten Neunutzer scheitern aber daran,
das System dauerhaft einzusetzen, das - als gleichwertiger Nachbau des in
Rechenzentren beheimateten Unix - auch gar nicht als Windows- oder
Macintosh-Ersatz konzipiert wurde. Vorwände für solch eine Camouflage boten
bislang die graphische Oberfläche KDE, der Netscape Navigator und das
Programmpaket StarOffice, drei Programme, die unter Linux verschieden
aussehen, unterschiedlich bedient und unterschiedlich konfiguriert werden
und zu dritt langsamer, funktionsärmer und nicht einmal stabiler sind als
die Konkurrenz von Microsoft. Die sperrige Schönheit und intellektuelle
Eleganz von Linux erschloß sich erst denen, die tiefer ins System eindrangen
und die von Unix geerbten klassischen Systemprogramme zu verwenden wußten.

In der neuen Version 2.0 tritt KDE mit dem Anspruch an, diese Einschränkung
zu beseitigen. Das Paket beinhaltet neben Fensterverwaltung und Programmenüs
eine Kombination aus Dateimanager und Web-Browser à la Windows 98 sowie ein
Paket mit PC-typischer Bürosoftware. Alle Bestandteile von KDE 2.0 sind aus
einem optischen Guß, haben eine weitgehend einheitliche Bedien- und
Konfigurationslogik und können sich außerdem nach dem Baukasten-Prinzip
ineinander verschachteln, so daß man z.B. Textdokumente im Dateifenster
nicht nur namentlich aufgelistet sieht, sondern unmittelbar lesen kann.

Obwohl KDE 2.0 von seinen Programmierern für fertig erachtet wurde und jetzt
schon mit vielen Linux-Distributionen ausgeliefert wird, stürzt es im
täglichen Gebrauch oft ab. KOffice, das Paket aus Textverarbeitungs-,
Tabellenkalkulations-, Präsentations- und Graphikprogrammen, verdient zwar
Anerkennung als erstes seiner Art, welches als Freie Software geschrieben
wurde, wirkt jedoch unfertig und bietet erheblich weniger Funktionen, als
der von Microsoft eingeführte Name "Office" verspricht.

Auch wenn sich das neue KDE wie sein Vorgänger bald stabilisiert, bleiben
ein Hindernis sein Speicher- und Leistungsverbrauch. Mit aufgesatteltem KDE
2.0 verlangt Linux, das sonst noch auf alten 486er-PCs gut einsetzbar ist,
der Rechner-Hardware mehr ab als z.B. Windows NT. Ein Prozessor der Pentium
III-Generation und 128 Megabyte Hauptspeicher sind nötig, damit Fenster und
Menüs nicht zäh und träge aufgehen.

KDEs Dateimanager-plus-Webbrowser, in der kolonialistischen Tradition von
Netscapes Navigator und Microsofts Explorer "Konqueror" getauft, hat vor
kurzem einen ihm inner- und äußerlich ähnlichen Rivalen namens "Nautilus"
bekommen, der zentraler Bestandteil des ebenfalls freien, aber mit KDE
konkurrierenden Gnome-Desktops werden soll. Obwohl es von Nautilus bislang
erst wacklige Vorabversionen gibt, mit noch barockerem Leibesumfang als die
KDE-Software, sorgte das Programm über die Linux-Welt hinaus für Aufsehen.
Seine Chefentwickler Andy Hertzfeld und Bud Tribble nämlich gehörten zu den
Programmierern des ersten Apple Macintosh von 1984 und schrieben dessen
berühmten graphischen Dateimanager "Finder". Ein Vergleich des neuen Kinds
der Macintosh-Väter mit dem in sechzehn Jahren nur unwesentlich veränderten
"Finder" wäre allerdings traumatisch für jeden Apple-Besitzer: Nicht nur
funktioniert Nautilus wie Microsofts Windows 98-Explorer, er sieht auch
genau so aus.

Das Grundproblem im Umgang mit Linux lösen jedoch weder KDE 2.0, noch die
künftige Gnome/Nautilus-Software. Während es z.B. zur Inbetriebnahme neuer
Hardware es beim Macintosh fast immer, unter Windows in den meisten Fällen
genügt, eine CD einzulegen und ein paar Mal mit der Maus zu klicken, setzt
dasselbe unter Linux oft tiefergehende Systemkenntnisse voraus, schon
deshalb, weil Linux zugunsten des Komforts keine Kompromisse bei Leistung
und Betriebssicherheit eingeht. Hinzu kommt, daß "Linux" strenggenommen gar
kein Betriebssystem ist, sondern nur Basis eines Heeres zahlloser
Systemprogramme, die unabhängig voneinander entwickelt werden, jeweils ihre
eigene Konfigurationslogik besitzen, je nach Distribution und persönlichem
Geschmack in bestimmten Varianten oder aus mehreren Alternativen gewählt
werden können, und die erst in ihrer Summe das System ergeben.
Hilfsprogramme, die wie Microsofts "Systemsteuerung" oder Apples
"Kontrollfelder" das Betriebssystem zentral und mausgesteuert einzurichten
erlauben, greifen bei Linux daher immer zu kurz und bewahren, obwohl sie oft
selbst schon kompliziert genug sind, niemanden davor, sich früher oder
später mit technischen Interna auseinanderzusetzen.

Dieses Problem ist zwar auch Windows-Kennern nicht unbekannt, die für
spezielle Systemeinstellungen in den Text der berüchtigten "Registry"-Datei
eingreifen müssen. Der Versuch aber, die Komplexität eines offenen Systems
wie Linux in zentral in den Griff zu bekommen, gleicht dem Unterfangen, eine
Profi-Fotoausrüstung in einen Ferienknipser zu verwandeln, indem man ihr
eine zusätzliche Automatik aufschraubt. Im Falle von Linux ist das Resultat
nicht nur klobig, sondern auch potentiell fragil. Laienhaft administrierte
Linux-Systeme sind dank ihrer Terminalfunktionen leichte Hacker-Beute, wenn
sie in Firmennetze gestellt oder über Pauschal-Zugänge dauerhaft mit dem
Internet verbunden werden.

Wenn Apple sein Unix-basiertes MacOS X veröffentlicht und Microsoft, wie
angekündigt, alle Windows-Versionen auf die Grundlage seines
Netzwerk-Betriebssystems Windows NT/2000 stellt, werden allerdings auch die
vermeintlich einfacheren Betriebssysteme ihre Benutzer mit einer Komplexität
überfordern, die Linux nie verhehlt hat.


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