Krystian Woznicki on Thu, 15 Nov 2001 11:18:33 +0100 (CET)


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[rohrpost] TELEPOLIS: WTO-Konferenz: Scharmuetzel im WWW


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  WTO-Konferenz: Scharmützel im WWW

  Armin Medosch   15.11.2001

  Virtuelle Blockade-Site und Lobby-Unterstützung der
Globalisierungsgegner im Web, während die WTO versucht, eine lästige
Parodie-Site loszuwerden

   Zeitgleich zu den Verhandlungen in Doha über eine neue
Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des Welthandels im
Rahmen der World Trade Organisation (WTO) kam es auch im World Wide Web
zu Protestaktionen. Eine nicht näher genannte Organisation rief zu
einem virtuellen Sit-in auf, das jedoch nur geringe Unterstützung fand.
Die Electrohippies, die 1999 während der gescheiterten
Seattle-Konferenz öffentlichkeitswirksam die Server der WTO
bestreikten, gaben sich ein eher gemäßigtes Stelldichein mit einer
Informationswebsite und Aufrufen, Lobby-Schreiben an zuständige
Politiker zu verfassen. Und die WTO ging in die Gegenoffensive, indem
sie versuchte, eine unliebsame Parodie-Site aus dem Web zu verdrängen.

     Wenn Global Action Days ausgerufen werden, wobei es zeitgleich in
vielen Ländern [1]Protestaktionen gegen die neoliberale Globalisierung
gibt, dann gehört es schon fast zum guten Ton, dass auch im WWW Action
stattfindet. Doch die Action fiel diesmal vergleichsweise zahm aus, was
möglicherweise den neuen Geist der Zeit wiederspiegelt.

  Eine sich nicht näher deklarierende Initiative rief via einer
[2]Geocities-Website zu einem virtuellen Sit-in gegen die "korporative
Globalisierung" auf. Wie dort erklärt wird, verursacht das Aufrufen
einer bestimmten Website, dass damit ein Script ausgelöst wird, das
HTTP-Requests an den Server wto.org stellt. Abgerufen werden soll eine
Seite namens 'people_before_profit', doch diese existiert auf dem
WTO-Server nicht. Die Anfragen nach der nicht existenten Page erfolgen,
solange die Protestseite geöffnet bleibt. Wenn sich eine große Zahl von
Usern dem Protest anschließt, könnten damit die Server der WTO
verlangsamt werden. Doch bereits die Erklärungen auf der Website geben
sich vorsichtig.

  Das Ziel der Aktion sei nicht destruktiv, sondern symbolisch, heißt es
da. Es ist also nicht die Absicht, WTO.org im Stile einer
Denial-of-Service-Attack gänzlich in die Knie zu zwingen, sondern man
will damit vor allem Präsenz zeigen, begleitend zu den physischen
Protesten der Teilnehmer an den Global Action Days zwischen dem 9. und
13. November. Die Zahl der Teilnehmer am virtuellen Protest wurde brav
aufgelistet: 230 am 10.11., 359 am 11.11. und 231 am 12.11., die
zusammen insgesamt 14,120 Seitenabrufe auf [3]www.wto.org verursachten.
Das wird von den Heavy-duty-servern der WTO nicht einmal als ein laues
Lüftchen wahrgenommen worden sein.

  Ähnlich vorsichtig, aber taktisch ganz anders zeigte sich die
Vorgehensweise der Electrohippies im Rahmen der WTO-Proteste. Die
Electrohippies waren vor zwei Jahren kurz vor Seattle auf der
[4]Bildfläche erschienen. Damals hatten sie vom Electronic Disturbance
Theatre entwickelte Software benutzt und weiterentwickelt, um zum
elektronischen Massenprotest gegen die WTO-KOnferenz aufzurufen. Dieses
Mal agierten die Electrohippies entschieden low key. Eigentlich sind
ihre Energien auf eine Protestaktion im Internet gegen den "War Against
Terrorims" gerichtet, die heute, am 15. November, beginnen soll. Nur
auf Grund "starken öffentlichen Interesses" hätten sie sich, eigener
Auskunft zu Folge, an den Doha-Protesten beteiligt.

  Zu diesem Zweck haben sie eine [5]Website aufgesetzt, die in erster
Linie Information und eine Menge Links bietet. Als konkrete
Handlungsmöglichkeit offerierten sie die Websites und E-Mails des
zuständigen [6]US-Büros für Handlesangelegenheiten und des
[7]EU-Kommissars für Handel , Pascal Lamy, an, verbunden mit der
Aufforderung, ihnen E-Mails zu schicken.

  Diese Vorgehensweise mag im Falle der Electrohippies damit
zusammenhängen, dass ihr Schwerpunkt bei der heute beginnenden
[8]Aktion gegen den Krieg gegen Terrorismus zu finden ist, die mit
Spannung zu erwarten sein wird. Es mag aber auch damit zu tun haben,
dass die Netzaktivisten vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte
ganz bewusst einen anderen Ton anschlagen, weniger konfrontativ,
weniger destruktiv auf das Abwürgen von Servern und mehr auf
Information und Teilnahme ausgerichtet. Man möchte mit diesen Aktionen,
die von ihren Protagonisten selbst als [9]legitimer politischer Protest
im elektronischen Kommunikationsraum verstanden werden, nicht in die
Nähe terroristischer Handlungen gerückt werden können. Großbritannien
hat bereits ein Gesetz, dem zu Folge Hacking als Terrorismus
interpretiert werden kann. Eine der an der Online-Demonstration gegen
die Lufthansa beteiligten Gruppen, Libertad, musste kürzlich eine
Razzia und die Beschlagnahmung von Computern und Dokumenten über sich
[10]ergehen lassen. Online-Proteste sehen sich zunehmend der Gefahr
einer pauschalen und unausweichlichen Kriminalisierung ausgesetzt.

  Ebenfalls mitspielen mag die Tatsache, dass Denial-of-Service-Attacks
so eine hohe Medienresonanz erzielt haben, ebenso wie eine scharfe
Gegenreaktion von Strafverfolgern.
Distributed-Denial-of-Service-Attacks können extrem effektiv sein, auch
gegen bestens geschützte Server. Doch solche Angriffe werden in der
Regel von anonymen Tätern ohne klare politische Zielsetzungen ausgeübt
und meist sogenannten Script kiddies zugeschrieben. Solche Handlungen
werden von den Behörden als klare Fälle von Computerkriminalität
betrachtet. Netzaktivisten wie die Electrohippies hingegen scheuen
nicht davor zurück, sich auch öffentlich als Personen zu exponieren.
Sie verbinden ihre Aktionen mit deklarierten politischen Anliegen (z.B.
[11]DoS-Aktion der Electrohippies gegen Gentechnik) und wollen Formen
virtuellen Protests, wie gesagt, als Ausdruck legitimen politischen
Protests verstanden wissen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung im
Netz und ein Verständnis des Netzes als öffentlicher Raum, in dem es
somit auch eine Form von Versammlungsfreiheit geben muss, werden von
ihnen als Legitimation herangezogen. Verschiedene neue Gesetzgebungen
auf nationaler und multilateraler Ebene hingegen trachten danach, jede
Störung im Informationsverkehr als verbrecherischen Akt einzustufen.
Umso wichtiger wird es für Netzaktivisten, sich mit ihren Handlungen
auch formal von den Vandalenakten mit DDoS-Attacken um sich werfender
Script kiddies abzusetzen.

  Wenig Skrupel hinsichtlich ihrer öffentlichen Wahrnehmung zeigte
hingegen die WTO selbst, die laut einem [12]Bericht von Indymedia in
der Vorwoche versuchte, eine lästige Parodie-Site abzuschalten. Die
Website [13]Gatt.org - nach dem Vorgänger des WTO-Abkommens, dem
GATT-Abkommen benannt - ist alles andere als eine offizielle
Web-Repräsentation der WTO. Der Domainname gatt.org gehört einem
amerikanischem Web-Journalisten und Streaming-Media-Spezialisten.
Inhaltlich bespielt wird die Site aber von den
Coroporate-Subversionspraktikern [14]RTmark. Für RTmark typisch, ähnelt
gatt.org äußerlich fast haargenau der offiziellen WTO-Website.
Inhaltlich bietet die Site jedoch scharfe Anti-Propaganda, bis hin zu
dem Hinweis am Fußende der Homepage, dass es eine Fake-Site gebe, die
der eigenen zum Verwechseln ähnlich sehe - und der Link von diesem
Hinweis führt dann auf die offizielle WTO-Website.

  Mit einer "Cease and desist order" (Aufforderung zur Unterlassung und
Einstellung) an die Registratur Verio Inc versuchte die WTO das
Kommunikationsdienstleistungsunternehmen zu bewegen, die Site aus dem
Verkehr zu ziehen. Als Begründung dient die Verletzung von Urheber- und
Markenrechten, weil die Parodie-Site Elemente verwendet, die von der
WTO markenrechtlich geschützt wurden. Laut dem 1998 verabschiedeten
Digital Millennium Copyright Act liegt in einem solchen Fall, den
Ausführungen von Indymedia zu Folge, die Beweislage beim Angeklagten.
Wenn eine "Cease and desist order" von einem Gericht ausgeschrieben
wurde, müsste die Website eigentlich abgewürgt werden, und es liegt an
ihren Betreibern zu beweisen, dass keine Verletzung des Urheberrechts
begangen wurde. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels war
gatt.org jedoch noch online. Ob, in welcher Form und durch wen der
Kampf gegen diese Verfügung nun aufgenommen wird, konnte Mangels an
Reaktionen der Betroffenen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht
eruiert werden.

  Während sich diese Scharmützel, die alle kaum Aufmerksamkeit in den
Medien fanden, im und um das WWW abspielten, rangen sich die
Mitgliedsstaaten der WTO in Doha zu einem Kompromiss durch (siehe
[15]www.wtowatch.org/). Das bedeutet, dass es eine neue Runde über eine
zukünftige Welthandelsordnung geben wird. Nur Indien widersetzte sich
bis zuletzt als hartnäckiger Dissident, entschied sich aber dann dafür,
sich der Stimme zu enthalten und seine Bedenken in einem eigenen
Statement, sozusagen als Anhang zu der Erklärung von Doha,
hinzuzufügen. Die geringe mediale Aufmerksamkeit für die Kämpfe im WWW,
aber auch für die Doha-Konferenz selbst, hat sicherlich damit zu tun,
dass der Krieg in Afghanistan in den letzten Tagen eine dramatische
Wendung erfahren hat. Doch es mag auch im neuen Geist der Zeit liegen,
dass nicht einmal die Businesspresse und die Nachrichtenagenturen so
richtig über den Sieg der weiter fortschreitenden Globalisierung zu
jubeln vermögen. "Millionen an Arbeitnehmern könnten ihre Jobs
verlieren, Millionen anderer neue Arbeit finden, da ganze Industrien
aufsteigen und untergehen, in Folge von Marktöffnungen, die in Doha auf
den Weg gebracht wurden," [16]schrieb die internationale
Nachrichtenagentur Reuters in London.

  Links

  [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/9974/1.html
  [2] http://www.geocities.com/no_wto2001/
  [3] http://www.wto.org
  [4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5534/1.html
  [5] http://www.fraw.org.uk/ehippies/lobby.html
  [6] http://www.ustr.gov/wto/index.shtml
  [7] http://www.europa.eu.int/comm/dgs/trade/index_en.htm
  [8] http://www.fraw.org.uk/ehippies/war.html
  [9] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/7881/1.html
  [10] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9846/1.html
  [11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5962/1.html
  [12] http://dc.indymedia.org/front.php3?article_id=15296&group=webcast
  [13] http://www.gatt.org
  [14] http://rtmark.com
  [15] http://www.wtowatch.org/
  [16] http://uk.news.yahoo.com/011114/80/cfiii.html

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11121/1.html

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