nick on Thu, 9 May 2002 22:01:54 +0200 (CEST)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

[rohrpost] n0name newsletter Spezial


n0name newsletter Spezial Capitale Do., 09.05.2002 21:55 CET

|<------------- Breite: 74 Zeichen - Font: Courier New, 10 ------------->|

8 KB, ca. 3 DIN A4-Seiten 


Interview mit Andreas Siekmann ueber seine Nicht-Teilnahme bei der 
Documenta11.

n0name: Du bist zur Documenta11 in Kassel eingeladen worden. 

Andreas Siekmann: Ich bin angefragt worden. Ich habe einen Film ueber 
Kassel gemacht, "Perle Provinz". Im Januar wurde ich angerufen und 
gefragt, ob ich den Film zu dieser sehr diffus erscheinenden 
Organisation hinschicke. Es wurde aber nicht gesagt zu welchem Zweck. 
Du weiszt erstmal nicht, wer dein Verhandlungspartner ist. Diese 
Organisation ruht so selbstgefaellig in sich, dasz sie sich personal 
gar nicht zu erkennen gibt. Sie sagt einfach: Schick mal dein Material 
herueber. Das ist die erste berufliche Zumutung. Die zweite Zumutung 
ist, dasz man nicht als Person oder als Team angesprochen wird, weil 
es nicht mehr um Subjekte geht, sondern man wird als Element, als 
Teil einer Weltkultur gefragt. Man kriegt nicht raus, wie das Konzept 
aussieht. 
Gibt´s ueberhaupt ein Konzept? Wer ist verantwortlich? Dann wird man 
fuer die Kasseler Plattform angesprochen, das ist die lokale, 
kritische Ebene innerhalb der Documenta. Aber es ist schon klar, 
wie grosz die Verbindlichkeit gegenueber der Restausstellung ist und 
wie sehr die Plattform dann doch zu dieser Kunststadtideologie 
beitraegt. Das ist eine Symbolmaschine, gegen die auch das 
kritischste Engagement nicht ankommt. Und wenn ich mich kritisch 
engagiere, wie zum Beispiel gegen die deutschinternationale 
Ausstellung "Manifesta", parallel in diesem Jahr in Frankfurt, dann 
tu ich das selbst. Ich will nicht kuratiert werden.

nn: Wie hast Du auf diese anfaengliche Diffusitaet reagiert? 

AS: Ich wollte dann ein Konzeptpapier haben, um eine 
Verbindlichkeit zu erlangen. Wenn man dort anrief, gab es sofort 
eine Weiterleitung zu Enwezor. Der fragte dann immer: Was willst 
du? Und ich sagte: Ich will ein Konzeptpapier. Das gab es aber 
nicht. Stattdessen bekam ich eine ganz normale Pressemitteilung, 
wo dann das documenta-Stadt- Kassel-Flanerie-blabla draufsteht, aber 
nichts darueber, was sie mit der Herangehensweise an so einen Film 
von einem selbst eigentlich wollen. Da wurde nie etwas verbindlich, 
es ging immer nur um Events und ein Rahmenprogramm. Es gibt ja 
eine Staffelung des Programms. Du hast diese Megaprojekte, dann 
die Plattform und schlieszlich noch die Ausstellung. Und man 
erwartet von mir, als nicht in Kassel lebender Kuenstler, dasz ich 
in irgendeiner Form so einen authentischen sozialen und auch 
kritischen Teil bespiele. Dabei mache ich ziemlich viel in anderen 
Staedten.
Es wurde auch der Vorwurf formuliert, dasz ich mich permanent 
selbst marginalisiere. Das finde ich irre. Ich entscheide mich aus 
politischen Gruenden dagegen, weil hier auf einer rein formalen 
Ebene eine Identitaet dargestellt werden soll, die sich zum Beispiel 
von den Marketing-Projekten eines Bernd Leifeld ueberhaupt nicht 
abgrenzt. Der Zugriff auf die Kuenstler erfolgt nicht inhaltlich, 
orientiert sich nicht daran, was die Leute eigentlich machen, sondern 
man greift Produktionen ab, die irgendetwas mit der Welt zu tun haben 
oder hatten. Man sieht ja auch wie die Medien reagieren, dasz es 
um eine Kassel-Identitaet geht, so aehnlich wie mit der 
Zeitgeist-Ausstellung in den 80er Jahren, als die Jungen Wilden 
positioniert wurden. Das ist jetzt der Gegenpol zur Saatchi-Collection, 
die Young German Art.

nn: Dein Job waere also gewesen, eine kritische Performance zu 
liefern und damit das Projekt insgesamt nochmal aufzuwerten. Aha, 
der Kritische ist ja auch dabei.

AS: Ich sehe mich erstmal nicht als Kuenstler. Wenn ich einen Film 
ueber Kassel mache, dann laeuft der auch in anderen Kontexten. Ich 
will mich nicht auf eine Buehne begeben, auch nicht mit einer 
Kritik, die letzten Endes nur die Identitaet von einem will. Da 
kommt man dann nicht mehr raus. In der gesamten Documenta geht 
es nicht um inhaltliches Engagement, sondern es geht nur um eine 
Zugriffsberechtigung. Es geht nicht um das Interesse an den 
Inhalten der Arbeit, an der Art und Weise, wie man arbeitet, sondern 
nur um die Zugriffsmoeglichkeit. In den Medien werden zur Zeit 
die einzelnen Kuenstler per Portrait vorgestellt. Die stehen dann 
alle vor spezifisch Kasseler Gebaeuden, vor dem Herkules, vor dem 
Museum Fridericianum usw. Die lassen sich alle so abbilden, was mich 
ein biszchen wundert. Es waere konsequenter gewesen, dasz sich jeder 
mit einem Portrait von Enwezor fotografieren laesst. Weil das ist 
doch das einzige Bild, das man bisher von dieser Documenta hat. 
Dasz jeder Kuenstler dokumentiert, ich bin ein Enwezor, zwei Enwezor 
usw., um einfach mal klar zu machen, worum es hier geht: Dasz hier 
eine kuratorische Machtposition gestaerkt werden soll und nicht eine 
kritische Produktion. 
Es gibt mittlerweile eine oeffentliche Dynamik der gesetzten 
Symbole, die ist so grosz, dasz du nicht dagegen ankommst. Kassel - 
documenta-Stadt - Kulturhauptstadt - Kunsthauptstadt - Kunstevent - 
und irgendwann kommt Spasz.

nn: Was sind Deine kuenstlerischen Beweggruende, nicht daran 
teilzunehmen? 

AC: Ich lehne es ab, an solch populistischen Konzepten teilzunehmen. 
Ich nenne das Schroederkultur. 

nn: Was meinst Du mit Populismus? 

AS: Du hast keine Moeglichkeit zu differenzieren. Es liegt eine 
unglaubliche Grobheit in solchen Konzepten. Du bemuehst dich als 
Mensch um ganz differenzierte Inhalte und beschaeftigst dich damit, 
wie du die, auch mit Spasz, rueberbringst. Das ist fuer mich ein ganz 
wichtiger Aspekt von Kunst. Eine Form von Reflektionsvermoegen, von 
Feinheiten und Differenzierungen. Rutschbahnen konnte man in den 80er 
Jahren machen, als es noch darum ging, mit Popmitteln eine 
Hochkulturkunst aufzubrechen. Aber dieser 80er-Pop ist jetzt so 
spannend wie Westernhagen, wenn er fuer die SPD rockt: Sei so pompoes 
und unsexy wie der Potsdamer Platz, sei wie das Cats-Musical.
Kulturauftraege werden ideologisch verschoben, um einen toten Punkt 
zu ueberwinden. Kultur musz jetzt konstruktiv sein. In dieser alles 
homogenisierenden Kampagnenkultur, wird Kunst dafuer eingesetzt, 
Widersprueche zu ueberwinden: Es geht voran. Die Kuenstler sind so 
schoen ahistorisch. Sie haben das Stigma der Globalisierung 
ueberwunden, usw. Bei den Sachen, die jetzt hier verhandelt werden, 
wird bestenfalls noch der Spasz als Zynismus interpretiert. Dann wird 
der Spasz gegen einen veralteten, idealistischen Kunstbegriff 
ausgetauscht. Es ist ja nicht Spasz, sondern Kunst. Es wird von 
einer solchen Ausstellung voellig verschleiert, dasz gerade im Moment 
auch viele Kunstproduktionen gemacht werden, die versuchen, die 
Widersprueche herauszufinden. So etwas kommt hier gar nicht vor. 
Kann es nicht und soll es auch nicht. Es ist wichtig zu verstehen, 
dasz wir nicht von auszerhalb sprechen, von irgendeiner Insel, die 
mit alldem grundsaetzlich nichts zu tun hat. Wir stehen mittendrin. 
Und weil wir mittendrin stehen, koennen wir auch sagen: Schau dir 
die Kunstwerke an, die nun das langweilige Bistrodesign der Kasseler 
City fortsetzen. Schau dir die Sachen an, die kleinlaut Britpop 
imitieren. Schau dir den Oberbuergermeister Lewandowsky an, der sein 
Sparbuch sicherlich schon gewechselt hat und nun statt bei der 
Kasseler Bank bei der Sparkasse auf dem Schosz sitzt. Dieses Konzept 
ist scheisze.

Interview: Xaver Schulz

(?) n0name 2002

Check MORGEN!: n0name newsletter #41 Capitale Fr., 10.05.2002 10:55 CET 
mailto: sender@n0name.de

-- End of n0name newsletter Spezial Capitale Do., 09.05.2002 21:55 CET ---

-------------------------------------------------------
rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/