Florian Cramer on Thu, 18 Jul 2002 11:45:07 +0200 (CEST) |
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Aus der heutigen SZ: Ora et Labor Gefangen im Medienkunstnetz: Wie Kulturreferentin Lydia Hartl sich die Zukunft Münchens als Kunst-Metropole vorstellt Es war einmal ... die Medienkunst. Was das eigentlich ist, wusste am Anfang niemand so recht. Als "Medien" galten damals, also in den Sechzigern, vor allem die magischen Kanäle des Fernsehens und ihre Manipulationsstrategie, die auch prompt zur Zielscheibe einer vornehmlich medienkritischen Kunst avancierte. Diese, alarmiert von der vermeintlich drohenden Übermacht medialer Weltzurichtungsmodelle, machte selbst vor der Zerstörung von Hardware nicht Halt. Nam June Paiks "TV Buddha", der gelähmt auf eine brennende Kerze in einer ausgehöhlten Bildschirmruine starrte, wurde zum Sinnbild einer Generation von Verschwörungstheoretikern, die tagsüber die Springer-Presse geißelten und sich abends doch vor dem Empfangsgerät versammelten, um in der "Tagesschau" das Neueste über den Vietnamkrieg zu erfahren. Inzwischen sind wir etwas weiter. "Medienkunst", dieser seltsame Hybrid aus einer Utopie vom besseren Leben, künstlerischer Kritik an den herrschenden Verhältnissen und verkabelten Apparaten, der immer wieder den gleichen Raum zwischen Kamera, Monitor und Betrachter definiert, dient mittlerweile als Zulieferbetrieb für die IT-Branche und wird als "wirtschaftliches Innovationsinstrument" gefeiert. So steht es zumindest im "Konzept zur Förderung der Medienkunst in München - Lab21. Labor für digitale Kunst und Kultur, München", das Lydia Hartl heute im Münchner Kulturausschuss vorstellt. Die Münchner Kulturreferentin hat ihre Vision von einer Neugeburt der Stadt als Zentrum der Medienkunst zum Hauptanliegen ihrer Amtszeit gemacht: Monatelang wollte sie sich nicht in die Karten blicken lassen, verschob Details ihres großspurig angekündigten Konzepts immer wieder nach hinten und ließ so die Erwartungen ins Unermessliche wachsen. Nun hat der Berg gekreißt ... und eine Maus geboren, so klein und mickerig, dass sie kaum Überlebenschancen haben dürfte. Atemlos hetzt Hartl, die durch besondere Kommunikationsfreudigkeit bislang nicht aufgefallen war, von einem Modeschlagwort der frühen Neunziger zum nächsten, verschaltet "poetische Interfaces", "Spin-Offs", "interaktive Environments" und "Cluster" zu einem euphorisch klingenden Worthülsennetzwerk und strebt dabei nichts Geringeres an als ein "weltweites Novum": ein "profiliertes Produktionslabor und Think Tank" im neuen "Medienkunstnetz" München. Das klingt vermessen - und ist es auch. Zunächst einmal geht es bei "Lab21" um die Behebung eines tatsächlichen Mangels: des Fehlens einer übergreifenden Infrastruktur in der IT- und Software-Stadt München für zeitgenössische ästhetische Produktionen, die nicht mehr mimetisch, also rein abbildend strukturiert sind, sondern selbstreflexiv - indem sie die analogen oder digitalen Visualisierungstechniken, derer sie sich bedienen, gleichzeitig zum Thema und zum Medium ihrer Arbeit machen. Die Orte, an denen in München vornehmlich Medienkunst gezeigt wird, sind bislang über die Stadt verstreut: das Literaturhaus, der vielfach bespielbare Raum "lothringer 13", die "t-u-b- e" im Einstein-Kulturzentrum oder etwa das "i-camp" im Neuen Theater. Das mag so in Ordnung sein oder auch nicht - eine zentrale Instanz wie etwa das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe oder die Kunsthochschule für Medien in Köln fehlt jedenfalls in der Stadt, die doch so viel auf ihre Medienunternehmen hält - 11500 sind es insgesamt -, deren Umsätze, bezogen auf den Großraum München, bundesweit an der Spitze liegen. Dass Hartl hier Abhilfe schaffen will - mit großzügiger Unterstützung sowohl der Münchner Rückversicherung, die einen Kubus in der Nähe der Pinakotheken kostenlos zur Verfügung stellen will, als auch der Media Arts and Research Studies am Fraunhofer Institut für Medienkommunikation bei Bonn, die eine Internetplattform und die neue Leiterin sozusagen frei Haus zu liefern beabsichtigen -, dass dies alles initiiert werden soll, ist an sich lobenswert. "Lab21" soll Medienkunst fördern und archivieren, Forschungen und Lehre im Bereich der digitalen Kultur und Informatik ermöglichen und vor allem "marktfähige Produkte" entwickeln. Da aber liegt der Hase im Pfeffer. Denn Hartl achtet deshalb so genau auf die Wirtschaftlichkeit ihres Lieblingsprojektes, weil es in einer Zeit drastischer Kürzungen vorgestellt wird. Für das Restjahr 2002 sind für das "Lab21" 105000 Euro, für die Folgejahre bis 2005 jährlich 350000 Euro veranschlagt. Der Stadtkämmerer will diese Ausgaben nicht bewilligen. Nun soll es der Kulturausschuss heute richten - Oberbürgermeister Christian Ude will seine glücklose Referentin in jedem Fall halten. Hartl beabsichtigt, auch im Falle eines Scheiterns ihrer Finanzierungspläne am kommenden Mittwoch vor den Stadtrat zu treten - und einen Showdown zu riskieren, der auch Ude beschädigen könnte. Bevor es so weit kommt, lohnt es sich, Hartls Konzept noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Erstens wird die Medienkunst in München kaum je gedeihen können, wenn sie immer nur als Vorstufe des corporate designs verstanden wird, statt etwa in ihren politische Dimensionen erkannt zu werden. Zweitens wagt es Hartl, das renommierte Karlsruher ZKM, die wichtigste Instanz für Archivierung von Medienkunst, als "obsolet" zu bezeichnen - bald gebe es ja das "Lab21". Ein krasses Fehlurteil. Und drittens - hier schließt sich der Kreis - muss sie sich erst einmal darüber klar werden, wie sie eigentlich "Medienkunst" zu definieren gedenkt: Als "neueste Entwicklung" hat Hartl die "sog. Netzkunst" ausgemacht, also Kunst, die im Internet entsteht. Die aber spielt schon seit Jahren kaum mehr eine prägnante Rolle in der Kunst. HOLGER LIEBS -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger cantsin@mail.zedat.fu-berlin.de ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/