Martin Lindner on Wed, 16 Jul 2003 14:02:09 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Re: def. medien und medienwissenschaft (florian cramer) |
hallo, erstmal herzlichen dank für die rückmeldungen. nur ein bisschen schade, dass matze schmidt, dessen beiträge ich schätze, sich damit begnügt hat, die urlaubsvertretung für signifikant@signifikat.de als scherzkeks-vom-dienst zu übernehmen. (nebenbei: diese in der rohrpost doch recht ausufernde medien=pop=gegenteil-von-big-sinn=lässige-polemik-von-medienkunst-hipstern-gegen -fade-akademiker-nerds - attitüde NERVT gelegentlich doch ein wenig.) antwort an florian cramer (6 jul 2003): deine kritik beruht, wie mir scheint, auf einem von dir aufgebauten, allzu schlichten gegensatz zwischen verschwurbelter geisteswissenschaft auf der einen seite ("geschichtsmetaphysik", unexaktes hermeneutisches auslegen von letztlich beliebigen "konnotationen") und exakter, no-nonsensehafter IT-theorie, die sich letztlich am guten alten telegrafischen kommunikationsmodell von shannon/weaver orientiert. dabei sind wir uns offenbar weitgehend einig, wenn es um den tatsächlich wuchernden (metaphorischen und metonymischen) missbrauch des medienbegriffs geht. das problem ist bloß, dass du mich in die selbe ecke drängst, wo ich natürlich nicht hin will. ich glaube aber, dass letztlich alles, was an dem phänomen und dem begriff "medien" interessant ist, in deiner simplen opposition keinen platz hat bzw. "dazwischen" steht. ich bin kulturwissenschaftler: mich interessieren medien als komplexes kulturelles phänomen. und ich will "medien" definieren, weil ich tatsächlich glaube, dass unsere vorwissenschaftliche rede von den "medien" einen sinn hat, der wissenschaftlich aufzuklären wäre. das ist zugegeben einfach eine prämisse. insofern du die prämisse (zumindest in dieser antwort, ansonsten habe ich da zweifel) nicht teilst, ist natürlich alles weiter sofort "tautologisch" und "zirkulär". ansonsten weise ich den vorwurf der zirkularität zurück: alle angekreideten sätze enthalten eine nicht-triviale zuspitzung des medienbegriffs. und "was ich genau als medien definiere", hatte ich doch gehofft, gegen ende gesagt zu haben. noch mal stark verkürzt: ein eigendynamisches (rekursives, autopoietisches ...) system im zeichenzirkulationsprozess mit (1) einer technischen, (2) einer semantischen und einer (3) sozial-systemischen dimension. man muss das übrigens dann nicht unbedingt "medien" nennen, aber ich finde das aus mehreren gründen sinnvoll. du vertrittst, wenn ich das recht verstehe, die reduktionistische position, dass medienwissenschaft eigentlich kanalwissenschaft bzw. codewissenschaft im sinn der komplexeren IT-entwicklungen der letzten jahre sein sollte. ich bin dagegen, wie du richtig erkannt hast, dem klassischen strukturalismus / der semiotik der 60er und 70er jahre verpflichtet. konsequenz ist, "die sprache" und "die kultur" als exakt analysierbare "struktur" bzw. eben in diesem sinn eben als "code" aufzufassen. dabei ist es tatsächlich so, dass ich von der existenz kultureller (quell-)codes ausgehe, die allerdings substanzieller und komplexer sind als die formalen, logischen, IT-technischen "codes". abC++ sozusagen. diese codes sprengen insbesondere die überholten schablonen von "denotation" und "konnotation". das ist m.e. die pointe von "medienwissenschaft" (wenn es eben überhaupt eine gibt), die in der vorwissenschaftlichen verwendung bereits mitschwingt: dass das mediale an den "medien" (eben das, was diesen besonderen begriff überhaupt nötig macht) genau das ist, was in zeichenzirkulationsprozessen über das triviale kommunikationsmodell hinausgeht, das ich inzwischen für untauglich halte, unsere kulturelle umwelt zu beschreiben. > Dann legst aber wiederum einen empirischen und soziologischen > Medienbegriff zugrunde: "Medienwissenschaft" legimitiert sich also > dadurch, daß wir in einer Epoche leben, in der beständig von "Medien" > die Rede ist. ja, genau. als kulturforscher will ich wissen, was dieses keyword bzw. dieser mythos bedeutet: "die medien". und ich bin daran ehrlich (nicht nur polemisch-ethnologisch) interessiert. aber dieser "empirisch-soziologische" medienbegriff ist eben vorwissenschaftlich. tatsächlich schließe ich die empirischen medienwissenschaften gar nicht aus, wie du irrtümlich einmal unterstellst, sondern stufe sie - wegen theorielosigkeit - auf den status von hilfswissenschaften zurück. bleibt noch der vorwurf der "geschichtsmetaphysik": ich möchte doch daran festhalten, dass theorien über kulturelle "epochen" zwar selbstverständlich angreifbar, aber grundsätzlich doch metaphysikfrei aufstellbar und im gelungenen fall auch nützlich sind. zugegeben: das wir hier einfach apodiktisch gesetzt. wieso ich die entscheidende grenze mit 1850/1900 ansetze ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/