supposé on Thu, 8 Nov 2001 16:45:26 +0100 (CET) |
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[rohrpost] Fw: hundemusik - diederichsen bei suppose |
am montag, 5. november erschien im berliner tagesspiegel die angehängte schöne rezension unserer hunde-cd von diedrich diederichsen... mit herzlichem gruss, klaus Tagesspiegel, Berlin, 05/11/01 Hundemusik Diedrich Diederichsen über den bezaubernden Gesang frierender Felltiere Junge Leute orientieren sich an Älteren, denen sie Glauben schenken. So konnte ich mich zwischen zwölf und 15 fast uneingeschränkt auf die Rezensionen Rainer Blomes verlassen. Sprach er mir nicht sowieso aus der schon für eine Platte gewonnenen Seele, so zeigte er mir Neues und pflanzte oft lebenslange Vorlieben und Abneigungen (wie etwa gegen den Pianisten Joe Zawinul). 1971 lobte er eine Platte über den Klee, bei der ich ihm erstmals nicht mehr zu folgen vermochte. "Songs Of The Humpback Whales" war die erste von mittlerweile Dutzenden Platten mit dem Gesang der Buckelwale, wie sie der spirituell gefährdete Kalifornier seitdem hört. Walgesänge sind nach Jahrzehnten von sich ungehindert ausbreitendem New-Age-Fundamentalismus sowas wie der Blues für Körnerfresser: alte und daher legitime unverdorbene Musik. Von der Skepsis gegenüber Tiermusik hat mich auch der schönste Vogelmusik-Wahnsinn von Olivier Messiaen nicht heilen können. Nicht Vogelstimmen sind schön, sondern die menschliche Idee, sie auf dem Klavier nachzuspielen. Alles, was ich höre, ja, was mich rührt, ist dieser Übertragung geschuldet. Höre ich hingegen echte Vögel, bleibt es bestenfalls bei einem Sounderlebnis, wie es auch Motorräder, Walzwerke oder Triebwerkeauslösen können. Um so überraschter war ich daher von der Wirkung, die die Musik der Hunde des Jeremy Roht auf mich haben sollte. Hier gab es einen Faktor, der die Möglichkeit kitschiger Projektionen durchkreuzte: Die Schönheit dieser kanadischen Hundegesänge liegt nicht in der Fremdheit eines absoluten Anderen, dem wir gleichzeitig vertraute Subjektivitätsvorstellungen zuschanzen, sondern in der Vertrautheit, mit der hier Stimmen sich artikulieren, auf einander reagieren und sich beschweren. Insbesondere die kollektiven Anstrengungen, das Einfallen in das Singen und Heulen eines Anderen, das Punktieren und Perforieren durch etwas, das wie handelsübliches Bellen beginnt und sich dann als eine Art Stimmband-Percussion entpuppt - all das regt nicht nur die Fantasie an, sondern lässt den Hörer mit der Zeit selbst zum Hund werden, der sich imaginär in diese Gemeinschaft vermutlich frierender Felltiere eingegliedert hat. Oswald Wiener hat dieses Ensemble gemeinsam mit Helmut Schoener aufgenommen. Von den 35 Tracks in normaler Single-Länge empfehle ich vor allem Nr. 5 und 13, aber auch die kurze süß-fragile Nr. 2 ist wunderschön oder Nr. 14, wo plötzlich ein Vogel zu stören versucht. Aber neben der Bandbreite des Gebotenen überrascht vor allem die Zartheit, zu der das Rudel fähig ist. Immer wieder darf einer ganz alleine vor den anderen brillieren, dann steigern sich wieder alle in ein anschwellendes Gekläffe, aus dem dann in Nr. 19 wieder eine zarte Einzelstimme hervortreten darf. Wiener erzählt im Beiheft, dass es mehr oder minder begabte Hunde gäbe und letztere sich freiwillig ins hintere Glied des Chores verfügen. Sogar das Alpha-Tier macht Platz für den weniger Kräftigen, aber des Gesanges Mächtigeren. Kultur, könnte man schließen, beginnt mit der Anerkennung von Begabungshierarchien. Vielleicht. Aber wenn diese Analogie zu menschlichen Musikern stimmen sollte, stimmt auch diese: dass nämlich die Emanzipation der Rhythmusgruppe Schlittenhunden genauso gut tut wie anderen Bassisten und Schlagzeugern. Dafür spricht, dass es zuweilen, etwa im Free-Jazz-Mittelteil von Nr. 22, zu genau solchen Entwicklungen zu kommen scheint. Die Begabungshierarchie wird also nur produktiv, weil sie auch von der offenen Form des Zusammenspiels so schön prinzipiell infrage gestellt wird. Ja, nur wegen dieser offenkundig ständig neu ausgehandelten Frage, wer jetzt wie lange und wie laut singen darf, gestehe der Hörer den Hunden die Subjektivität zu, die ich den Vögeln vielleicht ungerechterweise verweigere. Wiener weiß auch, dass Hunde nicht "über die konkreten Verhältnisse, die Ketten, den Hunger" klagen, sondern über die Schöpfung selbst. Aber ist nicht das Schlimmste an der Schöpfung gerade, dass sie Ketten, Hunger und andere konkrete Verhältnisse zulässt? Vielleicht ist aber auch das, was wie Klagen klingt, eine Hundekonvention, aus früheren Klagen gegen Hunger und Ketten entstanden, aber im Laufe der Hundemusikgeschichte längst Gattung geworden. Die Künstler hier beeindrucken durch ihre ungezwungen selbstvergessene Ausdauer, durch ein Gefühl von Aufgehobensein in der Form. Je länger sie sich ihr widmen, desto mehr hört die Realität dessen, was zum Klagen Anlass gibt, zu drängen auf (Edition supposé, Köln). -- neue cds: team of jeremy roht, recorded by oswald wiener bst (berger/schaeffer/theweleit): viosilence klaus theweleit: das raf-gespenst klaus theweleit: ekstasen der zeitenmischung -- supposé verlag + label kleiner griechenmarkt 28-30 50676 köln germany tel ++49.221.66079-06 fax ++49.221.66079-07 kontakt@suppose.de www.suppose.de Content-Type: application/octet-stream; name="hundemusik.dat" Content-Disposition: attachment; filename="hundemusik.dat" ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de