Tilman Baumgaertel on 29 Apr 2001 19:42:35 -0000 |
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[rohrpost] Generation 64 |
Berliner Zeitung Montag, 30. April 2001 Generation 64 Auf dem Vintage Computer Festival in München treffen sich hart gesottene Computer-Sammler Tilman Baumgärtel Der VAX ist 20 Jahre alt; Frederik erst 15. Trotzdem spielt er auf der Kiste "wie ein junger Gott". Das sagen zumindest die anderen und sehen ihm bewundernd zu, wie Frederik auf die Tastatur einhackt. "Als ich sechs Jahre alt war, hat mein Vater einen VAX nach Hause gebracht. Als ich das große Ding bei uns im Keller sah, wollte ich es unbedingt ausprobieren", sagt er. Heute kann er mit dem Gerät besser umgehen als viele Profis. Viel nützt es ihm nicht. Denn der VAX ist ein Computer, der nicht mal mehr Schrottwert hat. Noch vor zehn Jahren kostete ein VAX zwischen 30 000 und 150 000 Mark. Obwohl er auch einen neuen PC hat, kann Frederik sich nicht von der Kiste trennen: "Mit dem VAX kann man Sachen machen, die manche Computer heute nicht können." So groß wie ein Koffer Wie Frederik geht es allen, die am Wochenende in die Turnhalle des Sportvereins München Ost gekommen waren. Über 300 Teilnehmer haben ihre alten Computer in den Münchner Vorort Berg am Laim getragen, um sie Gleichgesinnten vorzuführen. Auf langen Tischreihen türmt sich dort eine Artenvielfalt von ausgestorbenen Rechnern, an die sich nur noch wenige erinnern, die bei ihren Benutzern aber wehmütige Nostalgie auslösen. Viele Computer sind staubig, die Farbe der Gehäuse ist zerkratzt, statt an einen Monitor muss man sie an einen Fernsehbildschirm anschließen. Dort strahlen keine buntes Interfaces, sondern oft nur grüne oder bernsteinfarbene Buchstaben. Statt mit der Maus auf Symbole zu klicken, müssen die User kryptische Befehle eingeben; die Daten werden nicht auf Disketten, sondern auf Kassetten oder Lochstreifen gespeichert. "Tragbare" Computer aus den Siebzigern haben das Format von Samsonite-Koffern. Der erste Computer, der Anfang der achtziger Jahre einen Massenmarkt erreichte, war der Commodore 64, weil er vergleichsweise billig und leicht zu bedienen war. Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen kamen als Teenager mit der hellbraunen Box in Berührung, die wegen ihrer eigenartigen Form von ihren Fans die "Brotkiste" genannt wurde. Für eine ganze Generation war er die Einstiegsdroge in die Computerei. In Westeuropa haben in den Achtzigern pubertierende Jungs nächtelang auf die dunkelbraunen Tasten des C 64 eingehackt, die ersten Computerspiele gespielt, mit primitiven Programmen eigene Kompositionen aus quäkenden Klangbausteinen zusammengefrickelt. Auf der Suche nach dieser Zeit sind die Vertreter dieser Generation 64 nach München gekommen. Dort finden sie nicht nur den VC 64 wieder, sondern auch viele andere Minicomputer, die damals erfolgreich waren, an deren Hersteller sich aber nach 20 Jahren niemand mehr erinnern kann: Acorn, Osborne, Sinclair, Atari, Amiga - die meisten von ihnen haben weniger Rechenpower als die Mikrochips, die heute in Handys und digitalen Uhren eingebaut sind. Doch ihre Namen lösen bei den Eingeweihten genauso große Begeisterung aus wie sie beim Rest der Gesellschaft auf Verständnislosigkeit stoßen. "Retro-Computing" nennt sich die Bewegung, die sich dem Sammeln und Erhalt von historischen Rechnern verschrieben hat, etwa 1 000 eingefleischte Computernostalgiker soll es in Deutschland geben. Manche sind bereit, für ihre digitale Archäologie viel Geld auszugeben. Beim Internetauktionshaus Ebay feilschen die Fans um rare Geräte und bieten für die antiquierten Kisten mehr als den Neupreis. Einer der seltenen Apple I kann für 30 000 Dollar dem Besitzer wechseln. "Solche Preise sind aber viel zu hoch", sagt Hans Franke. "Wenn man alte Computer sammeln will, muss man nur in Mülleimern suchen." Franke ist der Organisator der Antiquitätenmesse für Computer, die zum zweiten Mal in Deutschland stattfindet. 1996 reiste er zum ersten Vintage Computer Festival in Kalifornien. Als er zurückkam, wollte er eine ähnliche Veranstaltung in Deutschland einrichten. Zu der Show in den USA, die in diesem Jahr zum fünften Mal stattfindet, kommen inzwischen 5 000 Sammler aus der ganzen Welt. Franke, der hauptberuflich bei Siemens in der EDV arbeitet, hat schon über 300 Computer zusammengetragen, die er in einem 100 Quadratmeter großen Lagerraum unterstellt. Jetzt sucht er einen Raum, in dem er mit seinen Computern ein Museum einrichten kann. "Die erste Liebe hält am längsten", sagt Frank Dachselt, der aus Dresden zum Vintage Computer Festival gekommen ist. In den achtziger Jahren entdeckte er im Computerkabinett seiner Schule einen KC 87, der von der DDR-Computerschmiede Robotron hergestellt wurde. Heute ist er Mitglied im "KC-Club", dessen 80 Mitglieder in ihrer Freizeit immer noch an dem einstigen ostdeutschen Renommier-Computer herumschrauben. Einmal im Jahr treffen sie sich und zeigen ihre neueste Basteleien: Dachselt hat an seinen KC gerade einen brandneuen Scanner anmontiert. "Die Retro-Computing-Szene in Deutschland ist wahrscheinlich die größte in Europa", sagt Michele Perini. "Etwas Vergleichbares gibt es nur noch in den Niederlanden. Wenn wir so ein Treffen bei uns machen würden, kämen wahrscheinlich nur zehn, zwanzig Leute." Der Italiener ist mit fünf Freunden aus Desenzano extra für das Vintage Computer Festival nach München gereist. "Wir leiden alle unter der gleichen schrecklichen Krankheit", sagt einer von ihnen und grinst. Wenn man Perini glauben darf, hat er die größte Sammlung von alten Computern in ganz Italien; sein Freund, der neben ihm steht, die zweitgrößte. Geschichte bewahren In den siebziger und achtziger Jahren - bevor Windows und die Personalcomputer von IBM ihren Siegeszug antraten - gab es in Europa noch verschiedene, nationale Computer-Szenen, sagt Perini. "Den Commodore 64 gab es auch bei uns in Italien, aber in Deutschland waren auch viele Leute, die mit Atari- und Amiga-Computern gearbeitet haben. Die hatte bei uns fast niemand. In Deutschland gibt es ja sogar heute noch Leute, die Programme für den Atari schreiben!" Retro-Computing mag Außenstehenden spleenig erscheinen. Aber die Computersammler retten mit den alten Maschinen auch ein digitales Kulturgut, das ohne sie in Kellern oder auf Müllhalden verschwinden würde. "Wir bewahren Geschichte", sagt Michele Perini. Auch er will in Italien ein Computermuseum gründen: "Und dann müssen alle Schulklassen kommen, um zu sehen, wie der Computer, mit dem heute jeder arbeitet, entstanden ist." http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/multimedia/.html/34370 .html Vintage Computer Festival www.vintage.org ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost